Eine goldene Kerze für Julius Lolom Erstling
Am 07.11.2012 um 16:24 Uhr
wurde von eine Kerze entzündet.
Mein geliebter Sohn.
Giftler, Alk, Looser und noch viel mehr, das sind die Namen, die sie dir geben, obwohl sie nicht wissen, warum dein Leben so wurde, wie es jetzt ist. Ganz tief drinnen ist deine Seele krank, du leidest schon dein ganzes Leben lang.
Mein Kind, selbst du hast mich gefragt, als einst die Erinnerungen an deine Kindheit zurück kamen und du wieder "von vorne anfangen" wolltest - ganz von vorne, als Säugling: „Warum Mami, warum nur bin ich so, ich will nicht so sein, möchte raus aus meiner Haut!“, schluchzest du, während du dein Gesicht ganz tief in meine Schulter gegraben hattest.
Die Antwort, mein Sohn, kann ich dir nicht geben, ich weiß nur, es ist für uns beide, ja für die ganze Familie, ein sehr schweres Leben.
Viele Tränen habe ich geweint, oft weit entfernt von deinem Herzen, von dir selbst veranlasst, und doch mit dir vereint in meiner Seele.
Du hast zwei Seelen in deiner Brust, die liebe, sanfte und die voller Angst, Frust und den daraus resultierenden Aggressionen.
Zweifel plagen mich oft sehr stark, habe ich als Mutter bei dir versagt? Nein, ich glaube nicht, denn ich habe versucht, dir all das zu vermitteln, was man braucht für ein glückliches Leben. Was man braucht um die nötige Stärke in seinem Innersten zu finden. Dein Vater tat das ebenfalls, er gab sein Letztes um dir den Weg zu einem zufriedenen Leben zu zeigen..... jedoch konntest und wolltest du all dies nicht annehmen, nicht verstehen.
Sicher haben wir auch Fehler gemacht. Doch Menschen werden nicht als Eltern geboren... Ich kann dir nur versichern, dass alle von uns an dir begangenen Fehler aus Unwissenheit geschehen sind. Wir wollten dich nie verletzen, im Gegenteil, ganz im Gegenteil.....
Du wirst dein Glück noch finden, die Suche dauert schon sehr lang, aber wenn du wirklich damit anfangen würdest... Ich würde dir so gerne dabei helfen wenn du es zulassen würdest. Es gäbe Ärzte und Institutionen, die uns dabei unterstützen können. Du könntest zurück ins Leben kommen..... und dein Neubeginn wäre möglich.
Deine sog. Freunde / Freundin / nen können dir nicht helfen, sie sitzen alle in dem Boot, in dem auch du sitzt, und darum werden sie zwangsläufig mit dir zusammen untergehen müssen. Wirklich retten können dich nur Menschen, die mit beiden Beinen fest am Ufer stehen und dich dadurch aus dem Wasser ziehen können. Du musst es nur wollen und dich an ihren starken Armen festhalten. Das kann dir leider niemand abnehmen.
Ist einer von euch Suchtkranken und gesellschaftlich im Abseits stehenden tot, interessiert sich niemand mehr für dessen Höllenleben. Endlich ist wieder einer gegangen, der wusste eh nicht, wie man sein Leben erfolgreich gestaltet. Endlich ist er krepiert, ein gutes Wort über ihn im Nachruf? Nein, welches gäbe es denn zu sagen?. Meist wird er vor seinem Sterben schon tot geschwiegen.
Endlich wieder einer verreckt, selber schuld, entdeckt wurde er in seiner Wohnung, auf einer Toilette, einer Parkbank, einem Hinterhof... Gott sei Dank, er lebte auf unsere Kosten viel zu lang. Das ist es, was viele Menschen sagen. Vielleicht wird auch über sie das Leid einst kommen, nicht zur Strafe, sondern einfach um verstehen zu lernen.
Wen interessieren schon die seelischen Zerissenheiten und die sich dahinter verbergenden Tragödien? Keiner will sich damit auseinander setzen, dafür nimmt sich keiner Zeit.
Man denkt, "es trifft mich ja nicht", und "mir könnte das nie passieren". Viele Eltern denken dies ebenfalls von ihren Kindern. Doch: so sehr kann der Mensch sich irren…..
„Ich will nicht so leben“ , hörte ich öfter von dir, „keiner weiß, welche Schmerzen, Kummer und Leid mich plagen. Diese kleine Zeit, wenn ich auf Alk bin, Party mache, Dope nehme, vertreibt meine Trauer, lässt mich kurz atmen und so tun, als hätt ich mit meinen Problemen nichts zu tun.
Meine Seele ist befreit, ……… "
Das ist ein Trugschluss, mein Kind, das ist gewiss!
Wenn jemand über dich schlecht spricht, das möchte ich dir sagen, das ertrag ich nicht. Höre ich schlechte Sprüche über dich ist es, als würden sich 1000te Nadeln in mein Herz bohren. Ich bin ein sehr friedliebender Mensch, schwer bringt man mich aus dem Gleichgewicht, aber wenn man mein Kind verletzt, bin ich zutiefst getroffen, es macht mich todunglücklich.
Schlimme Zeiten sind wir durchgegangen, wann hat eigentlich alles begonnen??? Ich glaub es schon zu wissen, du warst ein kleines Kind, hattest schon immer ADS und konntest den Ansprüchen deiner Umwelt nie genügen. Dadurch ist dem ganz kleinen Jungen ein großer Schmerz wiederfahren - bereits in seinem noch so jungen Leben.
Deine Lebensziele zu erreichen war dir unmöglich, alles lief schief, was dein Herz begehrt! Schulabschluss? Lehre? Führerschein? Nein - nichts davon und auch sonst nichts...
Psychologe wolltest du stets werden, weißt du es noch?
Ich hab wirklich alles versucht was in meiner Macht stand, du solltest von mir all meine Liebe bekommen. Ich wollte dein gebrochenes Herz heilen mit all meiner Kraft, doch nicht ich, sondern der Alk, die Partys, die falschen Freunde und die Drogen haben gewonnen.
Doch der Alkohol und der Dope lindern dein Leid nur für kurze Zeit, sie geben nicht auf, liegen ständig auf der Lauer. Die Depressionen, die Psychosen, der Absturz.
Wenigstens ein kurzes Gefühl zum Glücklich sein, oh mein Kind, wie todtraurig du sein musst...
Oft sagt man mir, dir zu helfen ist sinnlos, obwohl ich deine Mutter bin. Du hast mich bestohlen, belogen, betrogen und hintergangen, obwohl du wusstest, dass der schwere Einbruch 2004 - du warst damals noch ein Kind - mich fast umbrachte und ich viele Jahre brauchte, um das Trauma zu verarbeiten.
Doch mein Mutterherz, das ist bei dir, ich bin dir wegen gar nichts gram, weil ich dich liebe. Machst du mir noch so viele Sorgen und bringst mir großes Leid, ich bin deine Mamus, in guten und in schlechten Zeiten.
Dich fallen zu lassen, kommt mir nie in den Sinn, denn du bist ganz tief in meinem Herzen.
Wenn einst mein Herz aufhören wird zu schlagen, werde ich immer noch bei dir sein und über dich wachen. Du musst keine Angst haben, ich werde dich nie alleine lassen denn ich habe dich unendlich lieb. Liebe kann auch der Tod nicht beenden.......
So viele Wege sind wir schon zusammen gegangen, und eines ist ganz gewiss, dass du mein heißgeliebter Junge bist und bleibst. Mein Erstling.
Mein Sohn, es hört sich für Außenstehende vielleicht dumm an, aber ich weiß, dass ich auch auf dich stolz sein kann.
Du warst und wirst es immer bleiben: mein einziger Sohn, dessen Platz niemand je einnehmen kann weil du unersetzlich bist!
Kaum einer hat die Kraft, dass er den Absprung wirklich schafft. Wenn der Wille da ist und er dann unter den „Cleanen“ lebt, fehlt oft derjenige, der die Seele heilt. Für manche ist der Heiler jedoch trotzdem da, man muss ihn nur erkennen und annehmen.....
Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen sich tiefer ins Herz hinein, und während die Tage verstreichen, werden sie Stein. Du bist irgendwie anwesend und doch unerreichbar für mich. Meine Qualen scheinen geronnen zu Schaum, aber ich spüre ihre lastende Schwere bis in meine Träume. Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Licht, die Welt wird ein Blumenmeer, aber in meinem Herzen ist ein Platz, an dem nichts mehr blüht.
Ich kann mir denken, dass du lange Nächte schlaflos liegst, unerträglich lange Nächte. Dann irrlichtern die Gedanken irgendwohin und wollen sich nicht einfangen lassen. Dann ist es gut, wenn mir dein Bild klar vor meinem inneren Auge steht, das Bild, das ich in glücklichen Tagen von dir hatte, als du mir besonders nahe warst, als etwas besonders Schönes gelang, als ich besonders groß von dir dachte. Nicht so, dass ich mir etwas vormache, sondern klar und wahrhaftig. So bildet sich in meiner Seele ein Raum, in dem du wohnen kannst und in dem vielleicht auch der Schlaf gelingt. Deine Stimme hören. So, wie sie früher war, als komme sie nicht nur aus der Erinnerung. So werden die leisen Stimmen vernehmbar, auf eine neue Weise. Als die Stimme eines Friedens, der nicht von dieser Welt ist. Ich vermisse dich so sehr, mein Sohn!
Ich habe gemerkt das ich immer einsamer wurde. Ich war nur noch damit beschäftigt aus dieser heiklen Situation wieder raus zu kommen, ohne das mein Umfeld davon etwas mit-bekommt. Mit am Schlimmsten war es als du, mein Sohn, die Psychose bekamst. Mit kaum einen Menschen kann man darüber reden. Kaum einer fragt nach seinem Befinden. Kaum einer fragt, wie es mir geht. Es ist eine Krankheit die den Mitmenschen Angst macht. Sie können damit nicht umgehen. Sie schweigen dich, mein Kind, tot....... Es ist als hättest du eine ansteckende Krankheit. Nur hinterm Rücken, da wird getuschelt. Man wundert sich, das ich mich verändere. Ja ich war mal lebenslustig und unbekümmerter. Jetzt bin ich traurig ,besorgt und depressiv. Darf ich das nicht mit einem drogen.-und psychosekranken Kind? Darf ich nicht trauern über deine, meine, unsere verlorenen Jahre? Ja ich trauere, über dein Potenzial, das du mit dem polytoxen Drogenkonsum und Alkoholmissbrauch in den Wind geschossen hast.
Es war mir ein Bedürfnis dir zu schreiben, es ist einfach über mich gekommen….. und ich möchte dir damit nur sagen, wie wichtig du mir bist. Lass dich niemals entmutigen, von Menschen welche keine Ahnung haben, überhaupt keine Ahnung haben können, weil sie nicht in deinen Schuhen laufen….
Und bitte vergiss niemals, wenn alles noch so düster aussieht, ich bin immer für dich da…………dein Platz in meinem Herzen ist immer für dich frei und wartet darauf, dass du ihn beanspruchst....genauso wie dein Platz in unserem Zuhause... wir haben es immer wieder geschafft……..
Ich hab dich lieb! Mu..f (unser Geheim-Wort)
Deine Mamus
In fine est pincipium meum.
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Jörg am 23.01.2013Eintrag melden
Hallo Mamus,
Jetzt habe ich von Deinen erschütternden Brief an Julius im Fernsehen gehört und bin zunächst ohne Worte gewesen für Dein Leid und gleichzeitig für mein eigenes Leid.
Da ist mir klar geworden, dass ich nicht alleine bin mit meiner Not und der Ohnmacht, die ich tagtäglich erlebe in mir selber. Bislang hatte ich kaum Menschen, die meine Gefühle verstanden haben, da sie nicht betroffen sind, oder sogar das Problem zu beschönigen versuchten. Wie wichtig also ist der Austausch mit anderen Betroffenen. Denn ich kann mir so oft selber keinen Rat geben, den ich andersherum anderen sofort geben würde. Na ja Rat sowieso nicht, aber vielleicht Hinweise auf alternativen zu den grauenhaften eigenen Gefühlen, denen wir machtlos ausgeliefert zu sein scheinen.
Ich bin den gesamten morgen wie die Ratte im Käfig in meiner Wohnung hin und her gelaufen, voller Sorgen, Ängste, Wut, Hass, ect. Jetzt schreibe ich diese Zeilen und komme etwas zur Ruhe, dann gehe ich in dem Wald, die Sonne scheint und zeigt mir, dass das Leben schön ist, die Natur ist für mich immer ein Ort an dem ich Ruhe suche und wenn ich achtsam bin und meine Gedanken, die mich quälen, durch eine Betrachtung des Himmels, oder der Pflanzen auswechseln kann, dann habe ich schwerste Arbeitz an mir geleistet, aber der Effekt ist, dass ich wenigstens in diesen Momenten bei mir bin, mich fühle, Freude erlebe, nur für diesen kurzen Moment. Was später passiert, wenn ich wieder Kontakt habe mit meinem trinkenden und drogensüchtigen Kind, mit dem ich gemeinsam in einem Haus lebe, kann ich sowieso nicht beeinflussen, also lohnt ja auch gar nicht ein einziger Gedanke daran zu verschwenden. Er ist jedesmal anders im Verhalten, aber immer irgendwie entmachtend und mich tief verletzend. Dabei will ich ihm nur helfen, auch wenn ich sicher nicht alles richtig dabei mache, ich bin ja auch nur ein Mensch und kein Gott. Also glaube ich, dass ich nur eines dem entgegensetzen kann, und das ist meine eigene Kraft zu spüren, Kontakt mit meinem Leben zu haben und seine Energie bei ihm zu lassen. Wie ein Kraftfeld um mich herum, das fremde Kraftfelder einfach ableitet, ich glaube, das ist ein treffendes bild, muß nämlich das erste mal seit Tagen lächeln dabei. So genau dieses Lächeln möchte ich jetzt weiter in mir spüren, deshalb atme ich jetzt tiefer, konzentriere mich auf meinen Körper, gehe in Meditation. Oh Mamus, danke, dass ich Deinen Brief hier heute lesen durfte, der mich wieder auf einem wesentlichen Teil meines Lebens gebracht hat, die Meditation, ich hatte sie wieder Mal seit langer Zeit vergessen.
Alles Gute Jörg
Tobias Mann am 20.01.2013Eintrag melden
@Julius
"Sieht mich denn keiner in meiner Not?" Aschfahl hockt Heike hinter der
Innentür der Bahnhofstoilette. Ihre Augen glasig. Die Faust umklammert die
blutverschmierte Spritze. Sie realisiert nicht, was um sie her passiert. Ihr
Puls schlägt müde. Der Kreislauf flattert ... Es gibt kein Zurück.
Sie weiß: Das ist das Ende! Irgendwann findet man sie. Tot. Wieder ein
Drogenopfer! Was für ein Wahnsinn. Kinder aus besten Familien! Was ist los
mit unserer Welt? Warum dieses grausame Ende?
"Prost, Eddi!"
Immer dann, wenn Eddi Schwierigkeiten hatte, kippte er sich einen.
Alkoholwar für ihn Problemkiller Nummer eins. Doch irgendwann hing er
hoffnungslos fest. Alkoholkrank. Lange Zeit vertuschte er seine Sucht durch
geschicktes Lügen. Nach zwei Jahren kam seine Frau dahinter: Mein Mann
trinkt. Heimlich!
Und irgendwann trank sie mit. Zuerst Likör, dann schärfere Sachen. Das geht
ans Geld, an die Gesundheit. Und jetzt? Familie zerrüttet. Ehe kaputt.
Arbeitslos. Leberkrank -Gedächtnisschwund. Es hat alles so harmlos
angefangen. Unsres Gesellschaft "ertrinkt"!
Elende Sinnlosigkeit!?
Findest Du Dein Leben etwa lebenswert? Kann denn auf Dauer ein Mensch ohne
Sinn existieren? Sind etwa die nicht viel besser dran, die ihr Leben
wegwerfen? Hat nicht ein sinnloses Dasein seine Berechtigung verloren?
Bitte glaub diesen Quatsch nicht! Auch Dein Leben hat einen Sinn.
Es hat Dir bis heute nur noch keiner deutlich genug gesagt.
Leben wir heute in einer Ära der Sucht?
Daß wir heute in der Ära der Sucht leben, hat seinen entsetzlichen Grund:
Wir sind krank an uns selbst. Krank, weil wir mit unsrer 5eeleneinsamkeit
nicht mehr zurechtkommen. Unsere Seele weint wie ein kleines Kind, dasseine
Mutter verloren hat. Wir fühlen uns unendlich alleingelassen. Wer in dieser
grausamen und brutalen Welt kümmert sich noch um uns? Die Vereinsamung
bringt uns um! Haben wirdenn kein Recht auf Liebe und Geborgenheit? Wie
ausgespuckt kommen wir uns vor.
Ersatzbefriedigungen - nichts weiter!
Die traditionellen Suchtmittel sind ein Indiz unserer inneren Vereinsamung.
Eßsucht, Magersucht, Alkoholsucht, Nikotinsucht, Spielsucht, Fernsehsucht,
Arbeitssucht, Sexbesessenheit, Drogensucht.
Ersatzbefriedigungen - nichts weiter. Lebensfeindlich, lebenzerstörend.
Wenn Du so denkst, dann bist Du in Gefahr:
"Meine Probleme sind stärker als ich!"
"Meine Zukunft ist ein dunkles Loch!"
"Für mich hat das Leben keinen Sinn."
"Niemand hat mich wirklich lieb."
"Ich bin sowieso der letzte Dreck."
"Ich bin total alle."
"Mir fehlte der Kick zum Leben!"
"Mir fällt die Decke auf den Kopf!"
Falsche Wege
Das chemische High belügt Dich. Die bewußtseinsverändernden Drogen
verkleistern Dir den Blick für die Realität. Die Ernüchterung kommt. Was
bleibt, sind Asche, Resignation und totaler Rausschmiß! Berauschende
Aussichten, die Dich umbringen.
LSD - Cannabis - oder das "dunkle Heroin-Vergessen" sind schwarze Löcher, in
denen Du ertrinkst. Willst Du im Todesschatten, zwischen bIutverschmierten
Spritzen und Kothaufen elend wie ein Hund krepieren? Du bist zu schade für
diese Hölle!
Technokids! Wie Gewitterdonner stampfen die Bässe im Herzrhythmus.
Stundenlang! Nächtelang! Wer umkippt, wird rausgetragen. Tot? Wen kümmert's?
Wer fürchtet Tod oder Teufel? Der Tempeltanz fordert seine Opfer.
Designerdrogen heizen an. Machen "happy". Auf einmal wird alles "easy"! Alle
sind Freunde, und man selbst ist "Star in der Manege".
LSD, Koks, Crak oder Speed? Cannabis oder Hasch? Hallo, darling! Wir
schmeißen heute Ecstasy. Bunt flimmernder Eisnebel schleicht kniehoch übers
Parkett. Trance - Lustgewinn pur. Was für ein Betrug!
Der letzte Kick! - Bungee-Jumping
Auch der macht dich nicht glücklich! Niemand braucht Drogen oder Alkohol, um
froh zu werden. Meinst Du etwa, Bungee-Jumping oder U-Bahn-Surfen könnten
Dir einen kräftigen Adrenalinstoß verpassen und Deine Gefühle verzaubern?
Was Du Dir auch einfallen läßt, am Ende bist Du immer auf "0".
Das umgekippte Feeling
Wenn der angenehm empfundene Rauscheffekt vorüber ist, stellen sich folgende
zerstörerische Wirkungen ein: Horrortrips, Psychosen, Wahnvorstellungen,
Verelendung, Gedächtnisverlust, seelische Versklavung.
Drogensucht ist Wahnsinn. Das Risiko unkalkulierbar.
Ralfs Abschiedsbrief nach einer Techno-party, der letzten Party seines
Lebens: "Mein Leben ist nicht mehr lebenswert, da die Ziele, die ich mir
"gesteckt" habe, nicht mehr zu erreichen sind. Schuld daran waren die
Drogen. Ecstasy, LSD, Pep und alles andere wird von den meisten
unterschätzt. Wenn ich gewußt hätte, daß dies passieren kann, hätte ich nie
damit angefangen. Ihr seid nicht schuld daran. Wenn Ihr mir einen Gefallen
tun wollt, dann übersteht meinen Tod. Denn mein Tod ist das Beste für mich.
Jetzt müßt Ihr stark sein. Meine Kraft geht zu Ende. Ich bin lieber tot als
verrückt. Die Parties gehen ohne Ihn weiter...". So stand es in der Zeitung.
Jonas M. am 20.01.2013Eintrag melden
Lieber Julius
In meinen jungen Jahren war ich auch in deiner Situation. Sechs Jahre lang habe ich alles an Drogen genommen was ich in die Finger bekam. Alkohol trank ich wie ein Loch. Ich hatte ADHS, schwere Depressionen weil ich nie etwas auf die Reihe bekam und alles zerstörte, was man mir geboten hatte. Ich war der absolute Verneiner schon von Kleinkind an. Mein Vater starb als ich drei Jahre alt war. Meine Mutter war wie deine Mamus. Sie versuchte alles, um mir zu helfen. Doch ich begriff nichts, überhaupt nichts.
Dann geschah etwas entsetzliches, etwas, was mich für immer veränderte und mich bis zum heutigen Tag nicht mehr zur Ruhe kommen lässt. Meine Schuldgefühle und meine Trauer über mein eigenes Verhalten von damals kann ich einfach nicht verkraften. Ich versuchte, an anderen wieder gutzumachen, was ich verbrochen habe. Doch es ist sinnlos, denn der Mensch, dem ich mit meinen Aktionen viel zu früh das Leben nahm, ist nicht mehr erreichbar für mich. Nur an ihm, meinem Opfer, könnte ich "gutmachen"...
Ich schreibe dir meine Geschichte "im Abstand", ich könnte sie ansonsten nicht erzählen.
Er wünschte sich stets einen Schutzengel, doch der war immer da und er sah ihn nicht.
Ein Sohn begleitet schreibend das langsame Sterben seiner Mutter, die er nur noch komatös erlebt - er nimmt Abschied von einem Leben, das sich ihm spät, viel zu spät, erschließt. Als der Sohn von der Krankheit der Mutter erfährt, geht er auf die Straße und läuft ziellos umher. Es gibt keine Hoffnung mehr; die Ärzte haben ihm gesagt, dass die Bauchhöhle, die Knochen und das Gehirn schon ganz verkrebst sind.
Der Sohn flüchtet sich ins Schreiben, beginnt, schreibend, noch vor ihrem Tod von der Mutter Abschied zu nehmen: als ob er sie "unter Worten begrabe", noch während sie lebt. Vielleicht geschieht ein Wunder und sie kann es doch noch lesen? Vielleicht kann er damit das Stundenglas anhalten, es vielleicht sogar rückwärts laufen lassen? Wie soll man damit fertig werden, dass jemand stirbt, der nie mehr ein Leben hatte, weil er es aus Sorge und Angst um das suchtkranke Kind geopfert hat? So viel wollte er ihr noch sagen, so viel noch mit ihr teilen, so viel noch... Und einmal noch sagen zu können: "ich hab dich lieb!". Einmal aus tiefstem Herzen um Vergebung bitten... Vielleicht bekommt er noch eine Chance, eine einzige Chance, die allerletzte?
Er hätte oft gern eine andere Mutter gehabt, eine lustigere, eine, die ihm alle seine eingebildeten Freiheiten ließ, die seine Freunde annahm, die nie welche waren, eine, die zusah, wie er sich schleichend umbrachte, eine, die ihn einfach nur in Ruhe ließ. - Und zu spät, viel zu spät begriff er: "wenn du tot bist, bin ich nirgends mehr daheim"... und zu spät, viel zu spät, begriff er, dass er nun den Menschen verloren hatte, der sein einziger wahrer Freund war; der ihn so sehr liebte, dass er ihm mit seinem Tod die Chance gab, aufzuwachen aus seinen Dauerräuschen und endlich leben zu wollen...
Mama, ich liebe dich! Bin dir unendlich dankbar! Bitte vergib mir...
Du sollst niemals so fühlen müssen, mein armer, unwissender Freund.
Ich denk an dich.
Von Ceres am 15.01.2013Eintrag melden
Unterschied zwischen Co-Abhängigkeit (Co) und Genesung (Ge)
In der Co hängen meine guten Gefühle davon ab, dass Du mich magst.
In der Ge hängen meine guten Gefühle davon ab, dass ich mich mag.
In der Co hängen meine guten Gefühle von Deiner Achtung meiner Person ab.
In der Ge hängen meine guten Gefühle von meiner Selbstachtung ab.
In der Co beeinflusst Dein Kampf meine Ruhe und Gelassenheit.
In der Ge spielt Dein Kampf für mich eine Rolle, weil ich mich um Dich sorge, aber er bestimmt nicht, wie ich über mich selbst empfinde.
In der Co wird meine Selbstachtung dadurch gestärkt, dass ich Deine Probleme löse und Deine Muster erkenne.
In der Ge kommt meine Selbstachtung daher, dass ich meine Probleme löse und meine Muster erkenne.
In der Co konzentriert sich meine Aufmerksamkeit darauf, Dir zu gefallen.
In der Ge gefalle ich mir, selbst wenn es Dir nicht gefällt.
In der Co konzentriere ich mich darauf, Dich zu schützen und gebe Dir alles Materielle, damit Du stets mit Allem was Du möchtest und brauchst, versorgt bist.
In der Ge schütze ich mich, selbst wenn ich Dich dadurch manchmal ungeschützt lasse; ich unterstütze Dich in keiner Weise weil ich weiß, dass Du auf Dich selbst aufpassen kannst.
In der Co verstecke ich meine Gefühle, indem ich Dich mich zu lieben manipuliere, und die Dinge auf meine Weise zu tun.
In der Ge sage ich die Wahrheit über meine Gefühle, unabhängig von den Konsequenzen.
In der Co schiebe ich meine Hobbys und Interessen beiseite. Deine Interessen stehen im Vordergrund.
In der Ge gehe ich meinen Hobbys und Interessen nach, selbst wenn das bedeutet, eine gewisse Zeit von Dir getrennt zu verbringen.
In der Co weiß ich nicht, was ich will: Ich frage Dich und bin mir nur dessen bewusst, was Du willst.
In der Ge kenne ich nicht nur meine Wünsche und Bedürfnisse; ich spreche sie auch aus und handle, um sie zu erfüllen.
In der Co sind die Träume, die ich von der Zukunft habe, untrennbar mit Dir verbunden.
In der Ge gehören meine Träume mir, auch wenn Du darin nicht vorkommst.
In der Co bestimmt die Furcht vor Deiner Wut, was ich sage und tue.
In der Ge habe ich keine Kontrolle über Deine Wut - und sie hat keine Kontrolle über mich.
In der Co nutze ich das Geben, um mich in Deiner Gegenwart sicher zu fühlen.
In der Ge kann ich geben. Wenn es mir Freude macht, es aber auch lassen, weil es nicht der Sicherheit dient. Ich werde Dich nicht mehr aus Angst vor Deinem Abgrund unterstützen, egal in welcher Beziehung.
In der Co akzeptiere ich alle Deine Freunde, selbst wenn sie für mich und mein Eigentum äußerst gefährlich sind.
In der Ge hoffe ich, dass Du meine Freunde magst. Wenn nicht, werde ich es verstehen und akzeptieren, mich aber weiterhin mit ihnen treffen.
In der Co lege ich meine Werte beiseite, um Dir zu entsprechen.
In der Ge gehören meine Werte mir. Als Kern meines Seins sind sie unumstößlich.
In der Co schätze ich Deine Meinung und Deine Art, Dinge zu tun, höher ein als meine.
In der Ge schätze ich Deine Art und Dein Verhalten, aber nicht auf Kosten meiner eigenen.
In der Co steht die Qualität meines Lebens in untrennbarem Zusammenhang mit Deiner Lebensqualität.
In der Ge gibt es klare Grenzen, die meine Lebensqualität von Deiner unterscheiden und trennen.
In der Co sage ich alles frei heraus, suche krampfkaft Deine Freundschaft und Anerkennung, ohne Konsequenzen und Regeln aufzustellen. Ich frage nicht, was Du zu unserer Familiengemeinschaft beitragen kannst und willst, und ich verlange nichts dergleichen von Dir.
In der Ge bin ich nicht von Dir überwältigt und kann unangemessenes Verhalten erkennen und darauf reagieren.
In der Co übernehme ich automatisch die Verantwortung, wenn es sonst keiner tut, indem ich sage: "Einer muss es ja machen." - "Einer" bin immer ich.
In der Ge spüre ich, dass ich die Wahl habe, indem ich es an eine höhere Macht abgebe und darauf vertraue, dass für den anderen gesorgt ist, auch wenn es nicht durch mich geschieht.
(Von Susanne Hühn)
M. Berg / @Mamus und Familie am 13.01.2013Eintrag melden
Wunderbare Mutter!
Ich konnte Ihnen nun doch bereits heute fast alles zusenden, was mir zu dem Problem Alkoholismus bekannt ist.
Als einen der wichtigsten Aspekte möchte ich Sie Eingangs darauf hinweisen, dass ALLE Alkoholiker Erklärungsmuster und Alibis für ihre Sucht finden.
Jeder Rausch hat in den Augen des Alkoholkranken einen plausiblen Auslöser. Dieser 'gute Grund zu trinken' ist nur ein Baustein in einem komplexen Erklärungsmuster, das er sich zurechtlegt, um sich zu schützen. In diesem System gehen Lügen und Selbsttäuschung oft Hand in Hand. Der Alkoholiker will vor der Umwelt, aber vor allem auch vor sich selbst das Gesicht nicht verlieren. Die Bandbreite der Ausreden wird kontinuierlich größer.
Er versucht IMMER, die Gründe für sein Trinken an äußeren Umständen festzumachen (Ungeliebtsein, Beziehungskonflikte, Stress, Mobbing...) und die Hauptschuld daran gibt er STETS denjenigen, die ihn am meisten lieben. AUSNAHMSLOS sind 'Andere' oder 'Anderes' für das Dilemma verantwortlich. Dieses Erklärungsmuster wird auf alle Bereiche des täglichen Lebens ausgedehnt, da ja auch der Alkohol alle Sphären zu besetzen beginnt.
So wendet sich der Alkoholkranke (oft plötzlich, radikal und aus geringfügigen Anlässen) von ehemals geliebten Menschen ab aus Angst, dass sie ihn für sein Problem verachten könnten. Um nicht als bedürftig und schwach zu erscheinen, führt er als Gründe für eine Trennung an, er sei erst durch ihr 'falsches' Verhalten abgerutscht.
Arrogantes, narzisstisches, großspuriges und übertrieben selbstbewusstes Verhalten soll den zunehmenden Selbsthass kaschieren und einem Autoritätsverlust vorbeugen. Aber auch dadurch ist die soziale Isolation oftmals nur zeitweilig aufzuhalten.
Der Alkoholkranke wird (scheinbar grundlos) aggressiv, reizbar und übellaunig. Kritik, Hilfsangebote und Interventionsversuche stoßen auf Widerstand oder werden durch Ausflüchte abgewehrt. Sehr häufig wird der Mensch, der immer für ihn da war wenn er ihn am nötigsten brauchte, mit ehrenrührigen Beleidigungen verunglimpft. Er wird als Betrüger, Dieb, Vertrauensbrecher, Lügner usw. oft sehr schwer verletzt.
Das zum Selbstschutz und als Alibi für das Trinken entworfene Erklärungsmuster schafft Veränderungen im gesamten Leben des Alkoholkranken. Viele Freunde und Hobbies werden als 'Ballast' abgeworfen und durch eine 'affirmative' Umgebung ersetzt. Da viele Freunde und Angehörige das Ausmaß seiner Erkrankung selbst noch nicht erkannt haben, stehen sie diesen unerwarteten, aggressiven und ungerecht erscheinenden Attacken hilflos gegenüber.
Um weiterer Kritik von vorn herein aus dem Wege zu gehen, verbringt der Alkoholkranke immer mehr Zeit allein - oder aber mit Menschen, die entweder selbst (und mit ihm) trinken, die dem Trinken unkritisch gegenüberstehen und/oder ein typisch coabhängiges Verhalten an den Tag legen. Oftmals entstehen dadurch 'passive' Beziehungen, in denen man regelmäßig gemeinsam 'versumpft'.
Der Alkoholkranke verliert das Interesse an fast allem, was ihm einmal wichtig war, und beginnt sein Leben vollständig nach seinem Trinkmuster auszurichten. Die Beschaffung von Alkohol steht an erster Stelle; alles andere erscheint zunehmend bedeutungslos. Für geregelte Arbeit, Schule und intensive, aktive Beziehungen - auch innerhalb der Familie - fehlt nun die Kraft.
Arbeitsverhältnisse und Freundschaften werden vom Alkoholiker oft 'vorausschauend' aufgekündigt, bevor andere ihm kündigen können.
Diese Fluchtversuche schließen auch einen Ortswechsel nicht aus. Dort findet er häufig Leute, die sein jetztiges Leben nicht kennen. Es geht jedoch naturgemäß nur eine gewisse Zeit gut, da er auch dort nicht auf Dauer verbergen kann, wer er wirklich ist.
Sie und Ihre Familie haben mein ganzes Mitgefühl, liebe Mamus. Wenn Sie mich brauchen, bin ich gerne für Sie da. Ich werde Ihnen im privaten Bereich meine Kontaktadresse hinterlassen.
Herzensgrüße und viel Kraft wünscht M. Berg
M. Berg / Alkoholkrankheit - Die chronische Phase am 13.01.2013Eintrag melden
Ohne wirksame Intervention endet die chronische Phase der Alkoholerkrankung im körperlichem Verfall und/oder in geistiger Umnachtung. Gravierende soziale Folgen wie Obdachlosigkeit und Heimeinweisung stehen am Ende jeder 'ungebrochenen' Alkoholikerlaufbahn. Bevor es aber soweit kommt, durchläuft der Betroffene mehrere Phasen der Erkrankung, in denen die schlimmsten Entwicklungen durch konsequente Therapien noch aufgehalten oder gar umgekehrt werden können. Es ist also (fast) nie zu spät einzugreifen.
Verlängerte, tagelange Räusche
Jeglicher Widerstand gegen das exzessive Trinken bricht in der chronischen Phase. Allmorgendliches Trinken wird zum Bedürfnis. Der Alkoholkranke ist nun sehr häufig stark betrunken. Diese Zustände halten zuweilen über mehrere Tage an. Selbst die einfachsten Tätigkeiten werden zur Belastung und können oft gar nicht mehr ausgeführt werden; eine geregelte Arbeit ist unmöglich.
Beeinträchtigungen des Denkens, psychomotorische Hemmungen
Gedächtnislücken, Konzentrationsstörungen und eine stark verminderte mentale Leistungsfähigkeit sind kennzeichnend für die chronische Phase der Alkoholerkrankung. Dem Betroffenen fällt es schwer, seine Gedanken zu 'ordnen'. Er ist nicht mehr in der Lage, komplexe Tätigkeiten auszuüben.
Ethischer Abbau
Der Alkoholkranke kümmert sich zunehmend weniger um die Folgen seines Dauerrausches auf die Familie und sein soziales Umfeld. Es kommt zu peinlichen Szenen in der Öffentlichkeit. Wesentliche moralische Grundsätze - wie Verantwortung, Ehrlichkeit und Treue - werden im Zuge der unkontrollierbaren Sucht immer häufiger gebrochen.
Trinken mit Personen weit unter Niveau
Schamgefühle gegenüber Freunden und Bekannten und der Verlust der gewohnten gesellschaftlichen Stellung haben zur Folge, dass der Betroffene Anschluss nun vor allem in einem Umfeld sucht, das dem Trinken weniger kritisch gegenübersteht. Der Alkoholkranke gesellt sich zunehmend zu Trinkern und anderen Personen, von denen er keine Vorhaltungen zu erwarten hat.
Zuflucht zu technischen Produkten
Das Trinken wird zum unerträglichen körperlichen Zwang. Sind Bier, Wein und 'harte' Spirituosen nicht greifbar, muss der Alkoholkranke nun auf alkoholhaltige technische Produkte wie Haarwasser, Mundspülungen, Hustensäfte, Parfüms und Brennspiritus ('vergällter Alkohol') zurückgreifen. Daraus resultieren oft schwerwiegende körperliche Schäden durch Intoxikation.
Verlust der Alkoholtoleranz, 'besessenes' Trinken
Wenn früher immer größere Mengen Alkohol benötigt wurden, um den gewünschten Effekt zu erzielen, verträgt der Alkoholkranke nun zunehmend weniger. Schon relativ geringe Mengen Spirituosen können starke Rauschzustände auslösen, die dann aber wesentlich kürzer sind als früher. Deshalb trinkt der Alkoholkranke in immer kürzeren Abständen, wie 'besessen'. Dabei bekommt er bald nichts mehr mit, schaltet innerlich ab.
Undefinierbare Ängste, Zittern, schwere Entzugserscheinungen
Sobald der Alkoholspiegel unter das gewohnte Maß sinkt, treten undefinierbare Ängste auf, die von starkem Zittern (Tremor) begleitet werden. Jeder Kater ist nun durch deutliche Entzugserscheinungen gekennzeichnet und schreit geradezu nach erneuter Zufuhr von Alkohol. Während eines solchen 'kleinen Entzugs' treten psychomotorische Hemmungen auf, die das Verrichten von bestimmten Tätigkeiten schwierig machen, die eine gewisse Koordination verlangen (wie Korken ziehen, Rad fahren...)
Auch auf die Psyche hat ein sinkender Alkoholpegel gravierende Auswirkungen. Ständige Niedergeschlagenheit bis hin zu schweren Depressionen, Angstzuständen, Panikattacken und traumatischen Neurosen sind keine Seltenheit. Konzentrations- und Gedächtnisstörungen machen das soziale 'Funktionieren' immer schwieriger.
Unbestimmte religiöse Wünsche, Krisen und Depressionen
Da sich viele Alkoholkranke ihre Sucht nicht erklären können, suchen sie zunehmend Zuflucht in undeutlichen religiösen Vorstellungen. Weil die gewohnten Erklärungsmuster nicht nur Freunden, Bekannten und Kollegen, sondern auch dem Betroffenen selbst nicht mehr tragfähig erscheinen, kommt es häufig zu schweren psychischen Krisen. Viele Alkoholkranke suchen und akzeptieren erst jetzt professionelle Hilfe. Andere stürzen in so tiefe Depressionen, dass ihnen der Suizid als einziger Ausweg erscheint. Eine ärztliche Intervention in der Entgiftungsklinik (oft auch mit Psychopharmaka) ist nun dringend angezeigt. Eine Allgemeinklinik bietet dagegen meist weder eine ausreichende medizinische und psychologische Betreuung, noch das für die Gesundung nötige Klima der freundlichen Akzeptanz.
Schwere Erkrankungen von Geist und Psyche
Bei einigen schwer Alkoholkranken treten (nicht nur) während des Rauschs alkoholische Psychosen wie Schizophrenie auf (Stimmen hören, Verfolgungswahn...) Der weitere Verlauf der Krankheit ist durch Alkoholdelirien gekennzeichnet, die durch Wahrnehmungsstörungen, Ängste und Desorientierung gekennzeichnet sind. Halluzinationen, Polyneuropathien, Krampfanfälle sowie die verheerende Korsakow- und Wernicke-Erkrankung läuten das Endstadium ein, wenn nicht sofort eine dauerhafte Abstinenz mit intensiver medizinischer Betreuung in einer Entzugsklinik eingeleitet wird. Rückfälle sind jedoch in diesem Stadium der Erkrankung eher die Regel als Ausnahme.
Halluzinosen
Bei dieser selteneren Psychose bestimmen vorwiegend akustische Wahnvorstellungen das Krankheitsbild. Das Bewusstsein ist klar. Der ängstlich-gequälte Alkoholiker hört meist Stimmen mehrerer nicht anwesender Personen, die in seiner Einbildung über ihn "diskutieren und schimpfen". Manche Kranke versuchen, den "Stimmen" zu entfliehen. Sie verbarrikadierten sich wie "Belagerte" in ihrem Zimmer.
Die Alkoholhalluzinose tritt meist im mittleren Lebensalter auf, oft nach einer Periode von Trinkexzessen. Wird der Alkohol abgesetzt, so klingt die Halluzinose in den meisten Fällen innerhalb weniger Tage ab. Trinken die Kranken wieder, kommt es leicht zu einer Wiederholung. Bei einem Fünftel der Fälle wird die Alkoholhalluzinose chronisch (schizophrenieähnlich). In vielen Fällen ist der Endzustand eine Demenz.
Zur Behandlung von Halluzinosen werden in der Regel Neuroleptika und bei Epilepsien Antikonvulsiva eingesetzt.
Krampfanfälle
Die Anfälle gleichen denen der Epilepsie. Sie treten ebenfalls häufig bei plötzlichem Entzug (20-30 % der Abhängigen) auf, allein oder als Begleiterscheinung des Delirs. Es gibt auch "nasse Krämpfe" während der Trinkphasen. Ist einmal ein Krampfanfall aufgetreten, bleibt die Neigung dazu chronisch. Bei jedem epileptischen Anfall kommt es zu einem Massensterben von Gehirnzellen.
Der Alkoholkranke stürzt wie ein Epileptiker plötzlich unter schweren Zuckungen und Krämpfen zu Boden und kann sich dabei ernsthaft verletzen. Erbrechen während eines Anfalls kann zum Tod durch Ersticken führen.
Vorbeugend werden Krampfanfälle bei den dazu neigenden Patienten (falls bekannt) mit Carbamazepin behandelt.
Wernicke-Krankheit
Die Wernicke-Enzephalopathie ist eine schwere alkoholbedingte Psychose, die nach einem Alkoholdelir auftreten kann. Sie ist die Folge einer Hirnschädigung, die - wie auch die Korsakow-Erkrankung - wahrscheinlich auf einen chronischen Mangel an Thiamin (Vitamin B1) zurückzuführen ist. Der Übergang zum Korsakow-Syndrom ist fließend, weshalb die Krankheit oft auch Wernicke-Korsakow-Syndrom genannt wird.
Typisch für die Wernicke-Enzephalopathie sind:
* Schläfrigkeit und Apathie
* Augenmuskellähmungen und Doppeltsehen
* Beeinträchtigungen der Muskelbewegungen, Reflexstörungen, Störungen der Feinmotorik
* Sprech- und Schluckstörungen
* Bewusstseinstrübungen, Desorientiertheit, Schlafstörungen sowie
* verschiedene vegetative Störungen.
Nur bei absoluter Alkoholabstinenz mit gleichzeitiger Gabe von Thiamin (Vitamin B1) kann nach längerer Zeit die Leistungsfähigkeit unter Umständen partiell wiederhergestellt werden. Wird die Wernicke-Krankheit nicht behandelt, kann sie tödlich verlaufen. Überlebt der Patient, bleibt meist ein Korsakow-Syndrom zurück.
Korsakow-Syndrom
Diese schwerste Form der Gehirnschädigung durch Alkohol wurde nach dem russischen Psychiater Sergej Korsakow benannt, der sie 1880 erstmals beschrieb. Der davon betroffene Alkoholkranke erleidet durch das Absterben bestimmter Gehirnregionen einen gravierenden Gedächtnis- und Orientierungsverlust, der zur Folge hat, dass er unter Umständen überhaupt kein "Gestern" oder "Morgen" mehr kennt, sich räumlich nicht mehr orientieren kann, und auch engste Bezugspersonen nicht wiedererkennt.
Trotz aller Einschränkungen können jedoch Aufgaben, die auf eingespeicherten motorischen Programmen beruhen, ohne weiteres erlernt und und ausgeführt werden.
Einige Betroffene glauben in einer anderen Zeit und/oder an einem anderen Ort zu leben. Sie passen dann häufig auch ihr Verhalten dieser imaginierten Umgebung an.
Häufig ist die Merk- und Lernfähigkeit schwer beeinträchtigt. Neue Informationen können entweder gar nicht erst gespeichert oder nach der Aufnahme nicht artikuliert werden ('anterograde Amnesie'). Im Falle einer retrograden Amnesie kann der Patient die Vergangenheit nicht rekapitulieren oder mitteilen.
Ein weiteres Merkmal der Korsakow-Erkrankung ist die Konfabulation. Der Alkoholkranke erzählt Geschichten, die schlichtweg erfunden sind, aber von ihm als wahr empfunden werden. Häufig fließen in diese Erzählungen Versatzstücke tatsächlicher Begebenheiten ein. Leider ist die Korsakow-Erkrankung in der Regel durch Abstinenz nicht heilbar. Für viele Patienten endet der Raubbau an ihrer mentalen Gesundheit auf einer geschlossenen Station der Psychiatrie. Es ist anzunehmen, dass die weitreichenden Schädigungen des Hirns durch einen Mangel an Thiamin (Vitamin B1) hervorgerufen werden, der wiederum durch die oft unzureichende und einseitige Ernährung vieler Alkoholabhängiger sowie durch alkoholinduzierte Stoffwechselstörungen verursacht wird. Es werden im Laufe der Erkrankung auch andere Teile des Hirns in Mitleidenschaft gezogen.
Alkoholdelir (Delirium Tremens)
Alkoholdelirien treten nach schwerem Alkoholmissbrauch machesmal schon nach einigen Monaten während eines starken Rausches oder während des Entzugs auf.
Ernstzunehmende Vorboten des gefährlichen Anfalls zeigen sich oft bereits Wochen vorher. Anlass zur Sorge und Intervention bieten:
Schlaflosigkeit, Zittern, Schreckhaftigkeit und vor allem furchteinflößende halluzinatorische Zustände bei Nacht, bei denen imaginierte Personen und Tiere in oft theaterähnlichen Szenen auftreten und den Alkoholiker bedrohen. Jede Form der Halluzination, und sei sie auch 'nur' akustisch, sollte Grund für einen Arztbesuch sein, um Schlimmeres zu verhindern.
Das 'Alkoholdelirium' oder 'Prädelir' ist Teil einer Alkoholpsychose, die durch verschiedenste optische und akustische Sinnestäuschungen gekennzeichnet ist. Die Persönlichkeit des Alkoholkranken scheint 'gespalten'. Blutdruck und Puls erhöhen sich, Zittern und starkes Schwitzen werden zum Problem.
Ein Delirium Tremens ist ein lebensbedrohlicher Anfall, der bei 50% der unbehandelten Fälle tödlich verläuft! Zu einem unfreiwilligen Entzug mit fatalen Folgen kommt es häufig nach Unfällen mit anschließender Einweisung in ein Krankenhaus, wenn das Pflegepersonal entweder nicht über die Alkoholerkrankung des Patienten informiert ist, oder die Tragweite eines plötzlichen Entzugs nicht erkennt. Bei der stationären Behandlung von Alkoholkranken ist immer äußerste Vorsicht geboten. Das Auftreten eines Delirium Tremens muss unter allen Umständen verhindert werden.
Beim extremen Rausch sowie auch beim plötzlichem Absetzen des Alkohols ohne fachärztliche Unterstützung kommt es bei schwer Alkoholabhängigen nach 1 bis 3 Tagen zu einer dramatischen Fehlschaltung im Gehirn, die verheerende Folgen hat.
Häufige Begleiterscheinung des Delirium Tremens sind:
1.) Bewusstseinstrübungen, Halluzinationen (Einbildung von Stimmen, Personen) bis hin zur völligen Geistesverwirrung
2.) Starke Ängste, traumatische Zustände, Weltuntergangsstimmung, Verfolgungswahn (Achtung: Gefährdung des eigenen Lebens und des Lebens anderer!)
3.) Epilepsieartige Krampfanfälle bis hin zum 'Grand Mal' mit einer erhöhten Verletzungsgefahr
4.) Orientierungslosigkeit bezüglich Ort, Zeit und Situation; die personenbezogene Orientierung bleibt jedoch meist erhalten
5.) Erhöhte Beeinflussbarkeit, Minderung der Kritikfähigkeit
6.) Psychomotorische Unruhe (nestelnde Hände, Fahrigkeit, Gestikulieren, Schreien)
7.) Gefahr eines Kreislaufzusammenbruchs
Das Delir wird auch als Einbruch von Traumphasen in den Wachzustand interpretiert. Es dauert gewöhnlich 2 bis 5 Tage und klingt spontan ab. Manche Patienten zeigen vor dem eigentlichen Delir Prodomalerscheinungen (Schreckhaftigkeit, Angst, Zittern). Dieser Zustand wird Prädelir genannt. Ein Delir kann in ein Korsakow-Syndrom, eine alkoholische Demenz oder in die Wernicke-Krankheit übergehen.
Das Delirium Tremens kann nur auf einer Intensivstation behandelt werden. Es lässt sich mit Clomethiazol dämpfen (Blutdrucksenkung), nach Bedarf muss zusätzlich sediert werden, z.B. mit Benzodiazepinen. Nicht selten besteht bei häufig auf Entzug behandelten Patienten eine Abhängigkeit von Distraneurin (Clomethiazol). In solchen Fällen wird das weniger wirksame Butyrophenon (z.B. das Neuroleptikum Haloperidol) verwendet.
M. Berg / Persönlichkeit und Psyche des Alkoholikers am 13.01.2013Eintrag melden
Ob Menschen süchtig werden, hängt nicht nur von ihren Genen, sondern auch von ihrer Persönlichkeitsstruktur ab, die sich durch äußere Faktoren und innere Entwicklungen gefestigt hat.
Sicher hat jeder Mensch im Laufe seines Lebens Probleme in einem oder mehreren der besagten Bereiche. Ob er aber abhängig wird, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab. Wenn genügend alternative 'Bewältigungsstrategien' für Persönlichkeitsdefizite und Konflikte vorhanden sind, sind die Risiken für eine Abhängigkeit auch bei erblicher Veranlagung und hoher 'Verfügbarkeit' verhältnismäßig gering.
Suchtgefährdet sind vor allem Menschen mit Persönlichkeitsstörungen, Depressionen, Ängsten und Phobien sowie mit ausgeprägter Affektschwäche und mit Störungen der Impulskontrolle.
+++ Psychische Störungen - Ängste und Depressionen
Studien zufolge fangen viele Depressive mit einer Veranlagung zur Sucht etwa 5 Jahre nach ihrem ersten depressiven Schub an, regelmäßig stark zu trinken.
Viele Menschen mit einer Familiengeschichte des Alkoholismus greifen oft schon in jungen Jahren zu Alkohol und anderen Drogen als Selbstmedikations-Mittel der Wahl und gegen aufkommende depressive Tendenzen. Bei unbehandelter Depression ist eine dauerhafte Abstinenz sehr schwer zu erreichen.
Einer besonderen Gefährdung unterliegen Menschen mit einer ängstlich-agitierten Depression, Angst- und Panikstörungen sowie Phobien. Alkohol ist für sie die 'ideale' Droge, weil er beruhigend, dämpfend und effektiv angstlösend aufs Zentralnervensystem wirkt.
Einer anderen Studie zufolge praktizieren bis zu 20% der Menschen mit sozialen Phobien (Kontaktstörungen) einen schädlichen Konsum von Alkohol. Das Rauschmittel hilft ihnen dabei, ihre Hemmungen, Ängste, Unsicherheiten und Minderwertigkeitsgefühle kurzfristig zu überwinden. Bei unbehandelter Sozialphobie sind viele Betroffene nur unter dem Einfluss von Rauschmitteln fähig, sozial angepasst zu 'funktionieren'.
Doch das Verhältnis von Alkoholmissbrauch und Depressionen ist alles andere als einseitig. Nicht nur fördern Depressionen nicht selten die Entstehung von Alkoholismus, sondern der Alkoholismus selbst ruft Ängste und Depressionen hervor.
+++ Alkohol als 'Selbst-Medikation' bei Persönlichkeitsstörungen
Menschen mit Psychosen oder Persönlichkeitsstörungen (wie Borderline, ADS, Schizophrenie, antisozialen Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen, depressiven Störungen und Narzissmus) nehmen nicht selten Zuflucht zum Alkohol als Mittel der Selbstmedikation, bevor sie andere Therapiewege ins Auge fassen. Gerade in diesen Fällen erfüllt das Rauschmittel häufig eine wichtige Funktion zur Stabilisierung der Persönlichkeit und sollte mit Bedacht 'abgesetzt' werden.
+++ Selbstwert-Defizite
Gerade Menschen mit Kontaktschwierigkeiten, sozialen Ängsten und Hemmungen sehen in Alkohol oft einen Ausweg, sich im Alltag freier zu bewegen. Zu Anfang verhilft der Alkohol in der Regel zu einer positiven Selbstsicht, zum Abbau von Hemmungen gegenüber anderen Menschen, zur Stresslösung, zur Freisetzung blockierter aggressiver und sexueller Impulse sowie unter Umständen auch zu einer größeren Kreativität. Beim Trinken ist es wesentlich leichter, soziale Kontakte zu knüpfen und aufrecht zu erhalten. Menschen mit Unsicherheiten und Minderwertigkeitskomplexen verhilft der Alkohol zumindest zeitweise zu einem stabilen Ego. Er ist zu diesem Zweck vor allem immer dann das Mittel der Wahl, wenn schon in der Kindheit keine anderen Strategien zur Problem- und Spannungslösung und zur Stärkung des Selbstwerts eingeübt wurden.
+++ Geringe Frustrationstoleranz
Frustrationstoleranz ist die Fähigkeit, Enttäuschungen zu kompensieren oder Bedürfnisse aufzuschieben, ohne dabei in Aggression oder Depression zu verfallen. Menschen mit Defiziten in diesen Bereichen sind besonders gefährdet, alkoholabhängig zu werden.
+++ Störungen der Impulskontrolle
Als Störung der Impulskontrolle oder Impulskontrollstörung wird in der Psychiatrie und der Klinischen Psychologie ein Verhaltensablauf bezeichnet, bei dem ein als unangenehm erlebter Anspannungszustand durch ein bestimmtes impulsiv ausgeübtes Verhalten (z.B. exzessives Trinken) aufgelöst wird.
Das impulsive Verhalten wird dranghaft, oft automatisch ausgeführt. Es wird zwar bewusst erlebt, kann aber willentlich nicht oder nur schwer verhindert werden. Impulskontrollstörungen können somit als eine Form der Willensschwäche bzw. Volitionsstörung aufgefasst werden.
Voraussetzung für eine Bewertung impulsiven Verhaltens als psychische Störung ist, dass es als "unangepasst" gelten kann, also entweder nicht den vernunftorientierten Zielen der betreffenden Person entspricht oder dem Betroffenen selbst oder anderen Personen Schaden zufügt (z.B. Schulden, Unfälle, Verletzungen). Das ist bei der Alkoholsucht eindeutig der Fall.
+++ Affektlabilität
Menschen mit einer ausgeprägten Affektlabilität leiden unter schnellen Stimmungswechseln. Sie werden von ihren Gefühlen häufig regelrecht überrollt, ohne die Ursache erkennen und eine Veränderung bewirken zu können. Die Affekte haben meist nur eine kurze Dauer, unterliegen vielfachen Schwankungen und wechseln ihre Grundstimmung. Auslöser für Stimmungswechsel sind dabei häufig zum Teil geringfügige äußere oder innere Anlässe. Alkohol bewirkt in diesen Fällen in der Regel eine erwünschte 'Einebnung' der Gefühlslage, die bewirkt, dass die Schwankungen nicht so drastisch ausfallen. Deshalb ist die Suchtgefahr auch hier groß, und beim Entzug ist besondere Vorsicht geboten.
+++ Selbstzerstörerische Impulse
Studien gehen davon aus, dass die Suizidrate bei Alkoholikern bis zu 75 mal höher ist als in anderen Teilen der Bevölkerung. Die mit dem missbräuchlichen Alkoholkonsum einhergehenden emotionalen und körperlichen Probleme bieten dafür ebenso Ursache und Anlass wie sozialer Druck und Abstieg, Vereinsamung, Scham und Selbsthass.
Alkoholexzesse und Rückfälle nach Abstinenzen können oftmals auch als ein Versuch (indirekter) Selbstzerstörung betrachtet werden. In diesem Fall bewirken Methoden der 'Abschreckung' (Hinweise auf schwere Erkrankungen etc.) in der Regel nichts, denn der Betroffene ist ja ohnehin fest entschlossen, seinem Leben ein Ende zu setzen. Oftmals wird der Wunsch nach Selbstzerstörung schon in der Kindheit angelegt. Missbrauch, Gewalt, Vernachlässigung, nicht kindgemäße oder fehlende Erziehung und - last but not least - Alkoholismus in der Familie sind zu großen Teilen dafür verantwortlich.
Der psychoanalytische Ansatz geht davon aus, dass in vielen dieser Fälle ein unbarmherzig strafendes Über-Ich durch Selbstvernichtung abgewehrt werden soll. Oftmals ist eine völlige Abstinenz vor diesem Hintergrund unrealistisch, so dass auch die Möglichkeiten kontrollierten Trinkens oder einer reinen therapeutischen Begleitung des Trinkens ins Auge gefasst werden sollten.
Alter, Geschlecht und gesellschaftliche Stellung
+++ Alkoholmissbrauch bei Jugendlichen
Die Gründe für frühen Alkoholismus sind vielfältig. Missbrauch, Gewalt und Alkoholismus in der Familie, Depressionen, Vernachlässigung, Drogensucht, zu großer Druck in der Schule/Lehre und andere traumatisierende Erfahrungen stehen dabei ganz oben auf der Liste der Ursachen.
Gerade Kinder und Jugendliche unterschätzen oft die Wirkungen und Folgen exzessiven Alkoholkonsums. Sie sind daher stärker als Ältere gefährdet, durch Unfälle geschädigt oder getötet zu werden oder sich (oft ohne Vorsatz) das Leben zu nehmen. Bei Kindern und Jugendlichen schreitet der alkoholbedingte Verfall viel schneller voran als bei Erwachsenen, und die Alkoholabhängigkeit ist später hartnäckiger. Letzteres liegt unter anderem daran, dass das junge, flexible Hirn ein besonders starkes Suchtgedächtnis entwickelt.
Außerdem ist Alkoholmissbrauch unter Jugendlichen häufig stärker akzeptiert als bei Erwachsenen, so dass Therapien oft erst spät zu greifen beginnen. Zu diesem Zeitpunkt ist der Alkohol häufig der Problemlöser Nummer 1, weil andere Strategien gar nicht erst erlernt wurden.
+++ Alkoholmissbrauch im Alter
Vor allem ältere Menschen leiden häufig verstärkt unter Depressionen und Ängsten, die sie für Alkohol empfänglich machen. Die Gründe sind so vielfältig wie nachvollziehbar: Verlust des Arbeitsplatzes, völlige Umstellung des Tagesablaufs und der Lebensgewohnheiten, Verlust des Partners, Vereinsamung, Verlust der Selbstbestimmung, Perspektivlosigkeit, Einweisung ins Pflegeheim, körperliche Gebrechen, Nachlassen der kognitiven Leistungen...
Studien zufolge ist ein Drittel der älteren Alkoholiker schwer depressiv. Dabei werden die deutlichen Zeichen der Depression und des Alkoholmissbrauchs leider oft von vielen Ärzten als normaler Alterungsprozess abgetan und missverstanden. Deshalb gelangen noch immer viel zu wenige ältere Menschen in den Genuss effektiver Sucht- und Depressionstherapien (zynischer Weise wohl auch aus Kostengründen).
Dabei wirkt Alkohol auf das Zentralnervensystem Älterer viel stärker als auf jüngere Konsumenten. Schon bei relativ geringen Mengen stellen sich stärkere Rauschzustände ein. Durch eine im Vergleich zu Jüngeren allgemein schlechtere gesundheitliche Verfassung kann der Alkohol in wesentlich kürzerer Zeit größere Schäden anrichten.
+++ Gesellschaftlicher Kontext
Alkoholismus ist in hohem Maße ein soziales Problem, weil Entstehung, Verlauf und Folgen stark an kulturelle und gesellschaftliche Gegebenheiten gebunden sind. Dennoch kommen viele Studien zu dem Ergebnis, dass Alkoholismus in allen sozialen Gruppierungen und Schichten zu etwa gleichen Teilen vorkommt. Eine Ausnahme bilden nach einer Studie von Henkel 1992 nur die Wohnungslosen, bei denen ein Drittel alkoholgefährdet, ein weiteres Drittel alkoholabhängig ist. Die Folgen von Alkoholmissbrauch sind in sozial benachteiligten Gruppen jedoch gravierender als in anderen. Der Anteil trinkender Frauen ist höher, und auch die Sterblichkeitsrate ist erhöht.
Auch bei wohlhabenden Selbständigen scheint der Anteil der Alkoholiker etwas größer zu sein. Bei gut situierten Menschen mittleren Alters nimmt der Alkoholkonsum mit dem Einkommen zu.
Folgende Faktoren scheinen das Risiko einer Abhängigkeit zu erhöhen:
* Arbeitslosigkeit, Obdachlosigkeit, Armut
* Einsamkeit, Beziehungslosigkeit
* Fehlende Interessen
* Stress, (Rollen)Druck
* Trinkende Vorbilder ('Peergroup')
* Hohe Verfügbarkeit von Alkohol (bei Kellnern etc.)
* Zugehörigkeit zu trinkfreudigen Milieus (Journalisten, Künstler...)
* Zugehörigkeit zu trinkfreudigen Landstrichen (Irland, Bayern...)
M. Berg / Alkoholismus - Folgen und Erkrankungen am 13.01.2013Eintrag melden
Wirkungen auf den gesamten Organismus
Durch die ständige Alkoholintoxikation wird der gesamte Organismus des Alkoholikers geschädigt. Die Beeinträchtigung der Funktion eines Organs hat wiederum Auswirkungen auf alle anderen Organe, so dass sich nach dem Erreichen eines bestimmten Stadiums das Krankheitsbild rapide verschlechtert. Der Tod durch Leberzirrhose, Blutung der Krampfadern in der Speiseröhre oder die Einweisung in ein Heim wegen Alkoholdemenz sind oft die deprimierenden Endstufen einer 'Alkoholikerlaufbahn'. Außerdem ist die Suizidrate bei Menschen mit Alkoholproblemen wesentlich höher als in anderen Bevölkerungsgruppen.
Dennoch ist es für eine Therapie (fast) nie zu spät, und die meisten alkoholinduzierten Veränderungen des Körpers und Geistes können durch strikte Abstinenz - leider nur bis zu einem gewissen Grad wieder - umgekehrt werden.
Stark erhöhtes Krebsrisiko
Chronischer Alkoholmissbrauch erhöht deutlich das Risiko für Plattenepithelkarzinome der Mundhöhle, des Rachens, des Kehlkopfes und der Speiseröhre. Das Krebsrisiko im Bereich des Mund- und Rachenraums liegt 2,5 mal höher als bei Alkoholabstinenten. Bei gleichzeitig starkem Tabakkonsum steigert sich das Krebsrisiko auf das 24fache. Obwohl Alkohol selbst kein Karzinogen ist, steigert er jedoch aufgrund zahlreicher Mechanismen die Empfindlichkeit der Schleimhaut gegenüber chemischen Karzinogenen.
Das Risiko eines Kehlkopfkrebses zeigt sich bei alkoholabstinenten Rauchern gegenüber alkoholabstinenten Nichtrauchern 12fach und bei gleichzeitig reichlichem Alkoholkonsum sogar 27fach höher.
Chronischer Konsum größerer Alkoholdosen erhöht die Gefahr eines Speiseröhrenkarzinoms etwa um das 10fache.
Lebererkrankungen
+++ Fettleber
Die Leberzellen enthalten Fetttropfen. Bei chronischem Konsum großer Mengen Alkohols kann das Fett nicht mehr vollständig abgebaut werden; das Volumen der Leber verdoppelt sich. Die krankhaft verhärtete Fettleber kann als Vorstufe zu einer schweren Leberschädigung betrachtet werden. Noch ist das Allgemeinbefinden kaum beeinträchtigt. Erste Symptome sind evtl. Appetitlosigkeit, Leistungsschwäche und Völlegefühl im Oberbauch. Erhöhte Gamma-GT-Werte und vom Fachmann ertastbare Vergrößerungen sind deutliche Indikatoren. Bei Abstinenz bildet sich die Fettleber meist zurück.
+++ Leberentzündung
Die zweite Stufe der Lebererkrankung, die Leberentzündung, kann verschiedene Symptome zeigen: von relativer Beschwerdelosigkeit über Hepatitis bis hin zum lebensbedrohlichen Leberversagen durch das giftige Abbau-Zwischenprodukt Acetaldehyd. Leberzellen sterben ab und werden nicht wieder ersetzt; die Leberwerte steigen an. Dieser Prozess kann durch fortgesetzte Abstinenz angehalten, aber nicht vollständig umgekehrt werden.
+++ Hepatitis
Die Fettleberhepatitis entwickelt sich meist nach jahrelangem Alkoholmissbrauch innerhalb kürzester Zeit und ist durch das Absterben von Leberzellen sowie durch Entzündungen gekennzeichnet. In schweren Fällen kommt es zum vollständigen Versagen der Leber.
Formen:
(- 1 -) Die anikterische chronisch persistierende Hepatitis
ist schwer zu diagnostizieren, da die typischen Symptome fehlen. Keine 'Gelbsucht', aber Appetitlosigkeit, Leistungsschwäche und Völlegefühl im Oberbauch; die Leber ist vergrößert.
(- 2 -) Die ikterische akute alkoholische Hepatitis
verläuft wesentlich dramatischer. Augäpfel und Haut färben sich gelblich. Die vergrößerte Leber ist meist druckempfindlich. Es können Fieber und eine erhöhte Leukozytenzahl auftreten. Oft zeigen sich neben Appetitlosigkeit und allgemeiner Schwäche Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle.
(- 3 -) Die cholestatische alkoholische Hepatitis
geht mit Gelbsucht wegen Verschlusses des Gallenganges einher. Symptome: Oberbauchbeschwerden, leichtes Fieber, Leukozytose, Blutarmut und nicht selten ein übermäßiger Abbau der roten Blutkörperchen.
Da absterbende Zellen durch Bindegewebe ersetzt werden, kann die Alkoholhepatitis zur gefährlichen Leberfibrose führen.
+++ Leberzirrhose
Durch fortgesetzte Alkoholintoxikation kann sich infolge weiteren Absterbens von Leberzellen eine Leberzirrhose entwickeln. Die zunehmende Veränderung der Gefäßstruktur führt schließlich zum Zusammenbruch des Systems. Eine Entgiftung des Körpers kann von der Leber nicht mehr gewährleistet werden, es besteht akute Lebensgefahr.
30 bis 50% aller Leberzirrhosen werden durch chronischen Alkoholmissbrauch induziert. Jährlich sterben in Deutschland etwa 18.000 Menschen an einer alkoholbedingten toxischen Leberzirrhose.
Symptome: Druck- und Völlegefühl im Oberbauch, Appetitlosigkeit, schnelle Ermüdbarkeit und Blähungen, Verminderung der Libido bis hin zur Impotenz. Weiterhin: spinnennetzartige geplatzte Hautgefäße, Rötung der Handflächen und der Zunge. Die Leber ist vergrößert.
Speziell bei Männern: Brustbildung, Rückbildung der Hoden.
Bei fortschreitendem Krankheitsbild entwickeln sich Krampfadern entlang der Speiseröhre, weil das Blut nicht mehr durch die Leber fließen kann und sich durch die Venen der Speiseröhre einen Umweg sucht. Das ist gefährlich, weil die Krampfadern leicht reißen können. Dann schießt das Blut aus dem Mund, und die Patienten ersticken an ihrem eigenen Blut. Neben Blutungen treten unter Umständen auch krebsartige Entartungen auf. Es besteht akute Lebensgefahr.
Durch den Wasserstau in den Eingeweiden kommt es häufig zur Entwicklung eines Wasserbauches und zur Selbstvergiftung des Körpers durch Ammoniak im Blut. Ein langsamer qualvoller Tod beendet die Krankheit. Um diese Entwicklung aufzuhalten, ist strikte Abstinenz notwendig. Wird sie konsequent eingehalten, hat die alkolinduzierte Leberzirrhose relativ gute Heilungschancen.
Erkrankungen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas)
+++ Pankreatitis
Bei der Pankreatitis beginnt sich ein Teil der Bauchspeicheldrüse selbst zu verdauen. Die daraus resultierende Entzündung führt in schweren Fällen zu Blutungen, ernsten Gewebeschäden, Bauchraum-Infektionen und Zysten. Eine entzündete Drüse kann dazu führen, dass Enzyme in den Blutstrom eintreten und so die Lungen, das Herz und die Nieren erreichen, wo weitere Schäden auftreten können.
(- 1 -) Die chronische Alkoholpankreatitis
führt zur Zerstörung wichtiger Drüsenzellen (des Drüsenparenchyms) und damit zur Beeinträchtigung der Lebensqualität sowie zur Verkürzung der Lebenserwartung. Während anfangs wiederholte Schmerzattacken mit Ausstrahlung in den Rücken auftreten, klingen die Beschwerden mit zunehmender Krankheitsdauer ab. In fortgeschrittenem Stadium kann völlige Schmerzfreiheit auftreten. Begleiterscheinungen: Diabetes, Fettstuhl und Gewichtsverlust sowie evtl. exzessiver Stuhlgang.
Etwa 70-80% chronischer Pankreatitiden werden durch chronischen Alkoholmissbrauch verursacht. Da die Alkoholpankreatitis zunächst aber nur geringe Beschwerden auslöst, wird sie oft übersehen, und das, obwohl mindestens 25% der Alkoholkranken entsprechende pathologisch-anatomische Veränderungen aufweisen.
(- 2 -) Akute Pankreatiden werden oft durch Alkoholexzesse ausgelöst und sind häufig Schübe chronischer Pankreatitis.
Symptome: Schmerzen im Oberbauch, die in den Brustkorb ausstrahlen, geschwollener Bauch, allgemeines starkes Unwohlsein. Möglich sind auch: Übelkeit, Erbrechen, Obstipation, Fieber, erhöhter Puls. In schweren Fällen treten Gelbsucht, Bauchwassersucht, Pleuraergüsse sowie Schock- und Sepsiszeichen hinzu.
Entzündungen der Magenschleimhaut (Gastrointestinale Störungen)
+++ Gastritis u.a.
Es kommt zu Entzündungen (Ösophagitis) und evtl. zum Riss der Speiseröhre und des Magens (Mallory-Weiß-Syndrom). Starke (oft tödliche) Blutungen sind die Folge.
(- 1 -) Die akute Gastritis
beginnt mit diffusem Druckgefühl in der Magengegend oder auch mit starken Schmerzen, die mit Übelkeit und Erbrechen einhergehen können. Auch Völlegefühl, Blähungen und Appetitlosigkeit sind möglich. Oft sind Magengeschwüre die Folge; Eigentherapien durch Schmerzmittel wie 'Aspirin' oder 'Alka Seltzer' schädigen die Magenwand noch weiter.
Die Zunge ist belegt, und es kann Mundgeruch bestehen. Bei etwa 10% der Erkrankungen kommt es zu Blutungen, die sich in Bluterbrechen äußern können. Da das Blut sich meist schon mit Magensäure vermischt hat, hat es eine braun-schwarze Färbung ("kaffesatzartig"). Nimmt das Blut nicht den Weg über die Speiseröhre, sondern über den Darm, färbt sich der Stuhl schwarz.
(- 2 -) Die chronische Gastritis
verursacht meist nur wenig Beschwerden. Dazu gehören: unspezifische Oberbauchbeschwerden wie Blähungen, Aufstoßen oder Völlegefühl nach den Mahlzeiten. Bei längerem Bestehen der chronischen Gastritis Typ A entsteht die sogenannte "perniziöse Anämie", eine Form der Blutarmut. Vitamin B12 , das zur Bildung der roten Blutkörperchen benötigt wird, kann nicht vom Darm aufgenommen werden. Die Blutarmut macht sich durch Blässe, Müdigkeit und verminderte Leistungsfähigkeit bemerkbar.
Vergrößerung der Milz, Schädigung des Dünndarms, Hämorrhoiden
Durch die chronische Schädigung des Magens muss der Darm oft die Funktionen des Magens mit übernehmen. Er wird im Zuge dessen ebenfalls stark in Mitleidenschaft gezogen. Vitamine und Nährstoffe können nicht mehr vollständig aufgenommen werden; die Folgen sind Mangelerscheinungen, Unterernährung und Immunschwäche.
Tuberkulose
Dr. J. P. Zellweger, Lausanne, der Generalsekretär der "International Union against Tuberculosis and Lung Disease" (IUATLD), Europa, erläutert den Zusammenhang von Tuberkulose und Alkoholismus oder Drogenabhängigkeit.
Alkohol hat eine eindeutig negative Wirkung auf die Immunität. Die Produktion von Zytokinen und deren Erkennung durch Alveolarmakrophagen, Lymphozyten und Granulozyten wird gestört.
In Studien aus den 50er und 60er Jahren wurde deutlich, dass das Auftreten von Tuberkuloseerkrankungen bei Alkoholikern höher ist als bei einer Kontrollpopulation (80% gegenüber 33%). Im Gegenzug ist bei Tuberkulosepatienten der Alkoholmissbrauch stärker ausgeprägt als in der Kontrollbevölkerung.
Die Verbindung zwischen Alkoholkonsum und Tuberkulose ist von großer klinischer Bedeutung. Die Patienten kommen meist spät zur Untersuchung, ihre Krankheit ist weiter fortgeschritten (52% der Alkoholiker haben Lungenkavernen gegen nur 25% der Kontrollpatienten), die Medikamente werden wegen alkoholassoziierter Krankheiten (Gastritis, Polyneuritis, Leberzirrhose) weniger gut vertragen und weniger regelmäßig eingenommen (Unterbrechung der Therapie in 64% der Fälle gegenüber 22% bei den anderen Patienten). Als Folge sind Sterberate und Rezidivrate höher als in der Patientengruppe ohne diese Risikofaktoren.
Das gehäufte Auftreten von Infektionen bei Alkohol- und Drogenabhängigen beruht heute hauptsächlich auf der zusätzlichen HIV-Infektion. Die Wirkung "harter Drogen" auf die Immunität ist weniger eindeutig. Rezidivierende Infekte werden verursacht durch unsterile Injektionen, Hypogammaglobulinämie, verminderte Zahl und Funktion der T-Lymphozyten und hepatitisbedingte Abwehrschwäche. Die Gefahr der Tuberkulose bei Drogenabhängigen liegt in der raschen Übertragung auf Drittpersonen in einem geschlossenen Milieu mit meist sozial marginalisierten Patienten.
Die Tuberkulose bei Alkoholikern und Drogensüchtigen erfordert besondere Aufmerksamkeit der behandelnden Ärzte und des öffentlichen Gesundheitswesens. Die Prognose der Tuberkulose bei diesen Risikogruppen ist weniger günstig und die Gefährdung der Gesellschaft größer. Ziel der Behandlung muss nicht nur die Heilung des Betroffenen sein, sondern auch die Vorbeugung der Übertragung der Tuberkulose, eventuell sogar von resistenten Keimen, auf Mitmenschen.
Zahnfleisch und Zähne
Alkoholmissbrauch verursacht Schleimhautveränderungen der Mundhöhle und begünstigt die Entstehung von Karies und Parodontitis in hohem Maße.
Bakterien setzen sich auf der Zahnschmelzoberfläche fest und bilden einen klebrig-sauren Zahnbelag: Plaque. Die darin enthaltenen Säuren zerstören die Zahnsubstanz. Die Mangelernährung vieler Alkoholiker führt zu Nährstoffdefiziten, die die schädigende Wirkung der Plaque noch verstärken.
Alkoholiker verlieren ihre Zähne zwei- bis dreimal so häufig wie Menschen, die kaum Alkohol konsumieren.
Herz-Erkrankungen
+++ Erkrankungen des Herzmuskels (Kardiomyopathie)
Beim Alkoholkonsum werden Hautgefäße erweitert, was zur gefährlichen Unterkühlung Alkoholvergifteter im Freien führen kann.
Während Alkohol das Risiko zur koronaren Herzerkrankung und damit zum Herzinfarkt herabzusetzen scheint, hat er auf den Herzmuskel bereits in geringen Mengen, die 40 g nicht zu überschreiten brauchen, eine negative Wirkung (Minderung der Kontraktionskraft). Am Herzmuskel lassen sich bei chronischem Alkoholabusus deutliche Schäden beobachten. Der Herzmuskel wird insuffizient. Die Folgen sind: Atemnot, Ödeme, Herzrasen und Herzvergrößerung bei gleichzeitiger Erschlaffung.
Schon geringe Mengen Alkohol täglich erhöhen den Blutdruck. Das Schlaganfall-Risiko steigt. Bei vielen Bluthochdruck-Patienten ist Alkohol die wesentliche oder sogar einzige Ursache. Alkohol steigert auch die Blutfettwerte und führt wegen seines hohen Kaloriengehaltes zu Übergewicht.
Schädigungen des Nervensystems
+++ Polyneuropathie
Schwerer Alkoholmissbrauch führt zu Erkrankungen des Nervenmarks und der langen Nervenbahnen mit Begleiterscheinungen wie Kribbeln, ziehenden Schmerzen und einem Taubheitsgefühl in den Händen und Füßen, evtl. auch Muskelkrämpfen, Muskelschwäche und Gangunsicherheit sowie geschwächten oder fehlenden Eigenreflexen (z.B. Knie- oder Achillessehnenreflexe) sowie Lähmungserscheinungen. Fehlempfindungen wie Hitze- oder Kältegefühl und Schwellungsgefühl sind nicht selten.
Diese Schäden können sich bei Abstinenz erst nach vielen Monaten bis Jahren, mitunter auch nie, zurückbilden. Die Gabe von Vitamin-B-Präparaten ist als Therapie angezeigt.
Muskelschwäche, Muskelabbau (Myopathie)
Heftige Schmerzen, Schwellung und Muskelkrämpfe
Erkrankungen des Blutes (Hämatologische Störungen)
+++ Anämie (Blutarmut)
+++ Funktionsstörungen der Leukozyten
mit einhergehender Verstärkung der Infektionsanfälligkeit
+++ Thrombozytendepression
der Mangel an zur Blutgerinnung unverzichtbaren Blutbestandteilen
+++ Makrozytose
die Vergrößerung der roten Blutzellen (Erythrozyten) infolge eines Mangels an Folsäure, Vitamin B6 und B12
+++ Gerinnungsstörungen
Stoffwechselstörungen, Veränderungen der Haut
Erweiterung der peripheren Hautgefäße, Rötungen, bleibende Erweiterungen kleiner, oberflächlicher Hautgefäße, spinnennetzartig auseinanderlaufende geplatzte Äderchen unter der Haut mit einem roten Fleck in der Mitte (Spider naevi), Rötung der Fußsohlen und der Handinnenfläche, Schuppen, Papeln und Pusteln, polsterartige Aufschwemmungen vorwiegend an Wangen, Nase und Kinn (Pschyrembel), Schwund der Geschmacksknospen auf der Zunge (Papillenatrophie)
Hormonelle Störungen
Die Verminderung männlicher Geschlechtshormone und der Anstieg weiblicher Sexualhormone bei Männern werden vermutet.
Veränderungen des Hirns
Bei jedem Rausch sterben Gehirnzellen ab. Ständiger Alkoholmissbrauch kann neben Funktionsstörungen bestimmter Hirnregionen auch die Schrumpfung des ganzen Gehirns bewirken ('Atrophie'). Da der Mensch etwa 100 Milliarden Hirnzellen hat, und das Hirn sehr anpassungsfähig ist, bleibt die geistige Leistungsfähigkeit über lange Zeit so gut wie uneingeschränkt (von Gedächtnisverlusten abgesehen). Die Selbstheilungskräfte des Hirns verringern sich aber in dieser Zeit stetig, weil die Zahl der zur Funktionsübernahme bereitgestellten 'Reservezellen' systematisch sinkt. Der geistige Abbau setzt meist erst nach einem mehrere Monate andauernden, täglichen Alkohol-Missbrauch ein, schreitet dann aber rapide voran.
Bei chronisch Abhängigen ist die Durchblutung der Frontallappen des Hirns deutlich eingeschränkt, so dass es zu hirn-internen 'Kommunikationsproblemen' kommt. Die Rückbildung des Kleinhirns führt zu Koordinationsstörungen, eingeschränkten Reflexen und Tremor (Zittern).
Alkoholmissbrauch schädigt vor allem auch den Hippocampus, der unter anderem für die Erinnerung, die Lernfähigkeit, die Emotionskontrolle sowie die Reizverarbeitung zuständig ist. Durch die Schrumpfung des Hippocampus kann es zu Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen kommen. Vor allem bei Jugendlichen sind die Folgen des Alkoholmissbrauchs auf das Hirn gravierend.
Bei längerer Abstinenz bilden sich Hirnschäden manchmal zurück. Einige Veränderungen der Hirnstruktur sind jedoch unter Umständen bleibend, und ist der Abbau bereits weit fortgeschritten, ist eine Regeneration in der Regel nicht mehr möglich. Fortgesetzter schwerer Alkoholmissbrauch führt häufig zu psychiatrischen und neurologischen Störungen wie Depressionen, Halluzinationen und Verfolgungswahn.
Schädigung des Ungeborenen bei Alkoholmissbrauch in der Schwangerschaft
Mögliche Folgen:
1. Kleinwüchsigkeit und Untergewicht
2. Mikrozephalus ('kleiner Kopf')
3. Motorische Behinderung, Hyperaktivität, mangelnde Muskelstärke
4. Zu 90 Prozent sind geistige Schäden (Retardierung) zu erwarten! Sie können von einer Bildungsunfähigkeit bis zur Sonderschulfähigkeit reichen.
5. Veränderungen des Gesichts mit gerundeter Stirn, verkürztem Nasenrücken, 'asiatischem Auge' ('Epikanthus'), Lidfehlstellungen ('Ptosis'), stark ausgeprägten Nasolabialfalten, schmalem Lippenrot und zurückliegendem Kinn ('Retrogenie')
In wieweit der Embryo geschädigt wird, scheint davon abzuhängen, wie weit die Alkoholerkrankung der Mutter fortgeschritten ist. Die tägliche Alkoholmenge scheint dabei nicht relevant zu sein.
Die Zahl der pro Jahr in Deutschland geborenen, alkoholgeschädigten Kinder wurde 1995 auf 2.200 geschätzt.
M. Berg / Begleitende Angst, Depressionen und Drogensucht am 13.01.2013Eintrag melden
Warum sind Alkoholiker depressiv, und warum trinken Depressive?
Oft bedingen sich Sucht und Depression. Süchtige greifen zur Flasche, um ihre Depression zu therapieren, und der Alkoholkonsum macht durch seine schädigende Wirkung selbst depressiv. Drogen reduzieren das Bewusstsein und wirken somit schmerzlindernd - nicht nur im körperlichen, sondern auch im psychischen Sinne. Besonders Alkohol wirkt stark dämpfend und ist deshalb die bevorzugte Droge vieler Menschen mit Angststörungen.
Depressionen erzeugen ein negatives Weltbild. Sie machen aggressiv, lustlos und stumpf. Alle Gefühle sterben ab, das Leben wird unerträglich fade und erscheint sinnlos. Alkohol dagegen 'macht Stimmung' -, auch wenn sie negativ ist. Euphorie und Wohlgefühl münden bald in Gereiztheit und Unwohlsein, aber der 'Kater' bietet wenigstens ein sozial akzeptiertes (und für das Ego noch erträgliches) Erklärungsmuster für Trübsinn und Antriebslosigkeit.
Alkohol macht gesprächig und selbstsicher, baut Ängste und Barrieren ab, enthemmt und wirkt (anfangs) sexuell stimulierend. Eine Depression aber schafft Defizite in genau diesen Bereichen: Sie macht kontaktscheu, lustlos und müde, sie verringert das Selbstwertgefühl und das Verlangen nach Sex. Es ist also nicht verwunderlich, dass Menschen mit Depressionen 'zur Flasche greifen' - und damit langfristig die falsche Entscheidung treffen.
Zum Verständnis: Was bewirkt Alkohol?
+++ Die Wirkung von Suchtstoffen auf das Gehirn.
Die meisten Drogen ähneln Stoffen, die im Hirn vorhanden sind, und können deshalb auf im Hirn bereits angelegte Wirkmechanismen zurückgreifen (Bertha Madras). Sie wirken direkt auf die Neurotransmitter und werden in die Kommunikationsstrukturen eingebunden, als hätten sie eine natürliche Funktion. Die durch die Drogen eingehenden Impulse werden also nicht abgelehnt, sondern quasi 'eingemeindet' und ausgeglichen, um das Gleichgewicht weiterhin zu gewährleisten. Das Hirn passt sich an die regelmäßige Chemikalienzufuhr an, indem es sich so verändert, dass der Ausnahmezustand zur Regel wird. Wird also durch die Droge ständig Dopamin freigesetzt, verringert oder desensibilisiert das Hirn seine dafür zuständigen Rezeptoren, damit es nicht zu einem Überangebot kommt. Fällt die Stimulans weg, sinkt der Dopaminspiegel, und es kommt zu Entzugserscheinungen. Der Dopaminspiegel normalisiert sich zwar wieder, indem sich das Hirn erneut verändert, aber das dauert seine Zeit.
+++ Konzentrations- und Gedächtnisstörungen
Darüber hinaus werden bei körperlicher Abhängigkeit die Regionen des Hirns dauerhaft aktiviert, die für die Sucht zuständig sind. Es entsteht ein 'Suchtgedächtnis'. Man muss sich bewusst machen, dass allein die fortgesetzte Stimulierung und Aktivierung bestimmter Hirnzentren die Hirnstruktur auf lange Sicht verändert. Wieder andere Bereiche des Hirns werden durch mangelnden Blutfluss und toxische Einwirkungen direkt geschädigt. Bei längerem Bestehen unbehandelter Depressionen wird neuesten Studien zufolge der Hippocampus angegriffen, der für Konzentration und Gedächtnis von entscheidender Bedeutung ist.
Sowohl Alkoholiker als auch Depressive leiden oft unter Konzentrationsstörungen und Gedächtnisschwäche. Sie haben ein 'episodisches' Gedächtnis, sehen also rückblickend statt einer kontinuierlichen Lebenslinie nur (oft negativ gefärbte) Bruchstücke. Neue Erfahrungen werden in diese verzerrte Weltsicht eingebaut, so dass es häufig zu unrealistischen Einschätzungen des Erlebten kommt. Ein Beispiel dafür ist die Alkoholikerparanoia: Eine Person oder ein äußerer Faktor (die Eltern, die Arbeit, die Kindheit) werden für die Misere verantwortlich gemacht, und alle Gedankenkonstrukte basieren fürderhin auf diesem Erklärungsmuster.
Diese hochgradig subjektive Weltsicht dient dem Selbstschutz, indem sie die Verantwortung für das eigene 'Fehlverhalten' an das Umfeld delegiert - sie zerstört damit aber gleichzeitig soziale Bindungen und hemmt die Motivation des Abhängigen, selbst etwas zu ändern.
+++ Eingriff in den Serotoninhaushalt des Hirns
Depressionen führen dazu, dass der Serotoninspiegel im Hirn sinkt. Da Serotonin für unser Wohlbefinden eine entscheidende Rolle spielt, und Rauschmittel den Serotoninspiegel kurzzeitig anheben, trinken viele Depressive Alkohol, um den Mangelzustand zu beheben. Das ist aber eine 'Milchmädchenrechnung', denn auf längere Sicht sinkt der Serotoninpegel im Hirn durch Alkoholkonsum immer weiter ab, und die Trübsal greift weiter um sich.
+++ Eingriff in den Dopaminhaushalt des Hirns
Alle Drogen beeinflussen in starkem Maße auch das Dopaminsystem. Beim Alkohol werden die stimulierenden Impulse vom Vorderhirn zum 'primitiven' Stammhirn gesendet, das wiederum Signale zur Stimulation der Dopaminfreisetzung in die zuständigen Hirnregionen 'verschickt'.
Unser Hirn ist flexibel und auf Stabilität bedacht - es versucht die Reizstärken immer gleich zu halten. Wird es mit Dopamin überflutet, bilden sich auf Dauer Resistenzen gegen den Stoff, so dass immer mehr Dopamin benötigt wird, um die gewünschten Wirkungen zu erzielen. Die Rezeptoren werden entweder unempfindlich, oder ihre Zahl verringert sich. Das Rauschmittel hat jetzt eine feste Funktion im Hirn, die Sucht beginnt.
Wird der 'Stoff' nun einmal nicht mehr zugeführt, kommt es zu Depressionen, extremer Müdigkeit und Abgeschlagenheit, weil der Dopaminspiegel im nüchternen Zustand stark absinkt. Rückfälle sind also unter anderem darauf zurückzuführen, dass das Hirn weiter nach stimulierenden Substanzen (z.B. Alkohol) 'verlangt', um den gewohnten Dopaminspiegel wiederherzustellen. Nach Entzug des Alkohols dauert es eine Weile, bis sich der Dopaminhaushalt wieder auf ein Normalmaß eingepegelt hat. Da auch eine Depression direkt auf das Dopaminsystem einwirkt, ist es wichtig, Sucht und Depression gemeinsam zu bekämpfen.
Zur Therapie von Sucht und Depressionen
Beide Erkrankungen - die Sucht und die Depression - müssen schon deshalb parallel behandelt werden, weil sie sich gegenseitig verstärken. Es ist also nicht ausreichend, bei einem depressiven Alkoholiker eine Entgiftung vorzunehmen: In der Entzugsphase würden die (unbehandelten) Depressionen unerträgliche Ausmaße annehmen. Das liegt zum einen daran, dass der Dopamin- und Serotoninspiegel absinken, was an sich schon depressiv macht, zum anderen aber auch daran, dass der depressive Patient nun 'ungeschützt' mit sich selbst konfrontiert ist. Alle die Depression auslösenden und verstärkenden Faktoren drängen nun an die Oberfläche des Bewusstseins, und das zu einem Zeitpunkt, wo die Entgiftung Körper und Psyche ohnehin schon übermäßig stark beansprucht.
Bei Abhängigen, die trinken, um starke Persönlichkeitsdefizite oder eine ausgeprägte 'Ich-Schwäche' zu kompensieren, ist es sogar außerordentlich gefährlich, nur einen Alkoholentzug einzuleiten, ohne andere begleitende Maßnahmen zu ergreifen. Für das stabilisierende Element Alkohol muss unbedingt ein Äquivalent gefunden werden, damit die Betroffenen nicht vollkommen abstürzen.
+++ Antidepressiva
Eine intensive Psychotherapie sowie die Behandlung mit Antidepressiva sind ratsam, wobei jedoch in Betracht gezogen werden muss, dass viele Antidepressiva nicht mit Alkohol eingenommen werden dürfen. Geeignete stimmungsaufhellende Medikamente (wie etwa Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer) können aber den Alkoholkonsum bei depressiven Trinkern nachweislich stark verringern.
Kein Süchtiger wird allein durch eine Behandlung seiner Depression vom Verlangen nach dem Suchtmittel befreit. Eine Therapie der Alkoholabhängigkeit ist also in jedem Fall notwendig.
+++ Benzodiazepine und andere angstlösende Mittel
Einige Medikamente sollten nur im Notfall zum Einsatz kommen. Dazu gehören die Benzodiazepine: angst- und spannungslösende Medikamente wie etwa Diazepam und Valium. Sie können im Zusammenhang mit Alkohol gefährliche Nebenwirkungen hervorrufen und auch allein zu neuen, schwer therapierbaren Abhängigkeiten führen. Benzodiazepine sind bei schweren Schüben so genannter 'ängstlich-agitierter' Depressionen sinnvoll, vor allem dann, wenn die Gefahr von Selbstverletzung und Suizid besteht. Sie wirken sofort stark beruhigend und angstlösend und können somit helfen, schwere Krisen zu überwinden, die sonst eventuell Kurzschlussreaktionen ausgelöst hätten. Auch in der Phase der Umstellung auf andere Medikamente können sie eine Hilfe sein, um grobe Abstürze abzufedern. Eine Einnahme von 'Benzos' über einen längeren Zeitraum ist gefährlich und kommt Medikamentenmissbrauch gleich. Im Zusammenhang mit Alkohol verstärkt sich die Wirkung des Beruhigungsmittels. Je nach Dosierung können lebensgefährliche Zustände auftreten. Ein Benzo-Entzug ist unangenehm, und jahrelanger Gebrauch der Substanz kann beim Absetzen akute bleibende Psychosen hinterlassen.
Benzodiazepine sind Medikamente, die Nervenzellen an der Ausbildung von Erregungen hindern. Verschiedene Salze bzw. ihre Anteile (Ionen) sind an der Erregungsausbreitung bzw. -hemmung im Gehirn beteiligt. Dabei wirken Natrium und Kalium, Kalzium und Chlorid bei der Erregungsausbreitung mit. Zusätzlich ist ein Überträgerstoff, die Gamma-Amino-Buttersäure (GABA,) beteiligt. Dieser Stoff wird in einen Spalt zwischen den Nervenzellen ausgeschüttet und führt an der benachbarten Zelle dazu, dass mehr Chlorid in die Zelle einströmt und sie damit weniger erregbar wird.
+++ Psychotherapie
Eine kontinuierliche psychotherapeutische Betreuung über einen langen Zeitraum hinweg verringert das Risiko eines Rückfalls, indem sie die Persönlichkeit stabilisiert. Alkoholiker verlieren oft im Laufe der Abhängigkeit ihre Partner, Freunde und andere Bezugspersonen, so dass schon das regelmäßige Gespräch mit einem Therapeuten dazu dienen kann, den Teufelskreis von Einsamkeit und Trinken zu durchbrechen. Die Wiederherstellung eines gesunden Selbstwertgefühls sowie eines tragfähigen sozialen Umfelds erhöht die Chancen für eine langfristige Abstinenz. Die Gruppen der Anonymen Alkoholiker und ähnliche Programme bieten eine gute Plattform, um sich über Alkoholismus und Depressionen sowohl mit Fachleuten als auch mit Leidensgenossen auszutauschen. Kognitive Verhaltenstherapien können dabei helfen, neue Wege und Ziele zu erkennen, und gemeinsam Strategien gegen Rückfälle zu entwickeln.
Viele Stimmungstiefs treten übrigens erst Wochen nach dem Entzug auf, so dass langfristige Therapien in jedem Fall von Vorteil sind. Viele Veränderungen des Gehirns bilden sich erst nach einigen Jahren zurück. Gedächtnisstörungen nach jahrelangem chronischem Missbrauch bleiben sogar oft lebenslang bestehen. Die Positronen-Emissions-Therapie (PET) zeigt die Veränderungen im Hirn.
Was war zuerst da: Henne oder Ei, Sucht oder Depression?
Auch Depressionen, die scheinbar erst durch den Alkoholkonsum hervorgerufen wurden, müssen behandelt werden. Schließlich wirkt jede Depression über eine Veränderung der Hirnstruktur so massiv auf die Persönlichkeit ein, dass es ohnehin nicht möglich ist, zum psychischen Urzustand 'vor dem Trinken' zurückzukehren. Ein depressiver Mensch ist ein depressiver Mensch, egal, wodurch seine Depressionen ausgelöst wurden. Eine genaue Unterscheidung von veranlagten und durch die Abhängigkeit bedingten Depressionen ist daher nicht in vollem Umfang möglich oder auch nur sinnvoll. Dennoch ist es für eine fundierte Therapie-Entscheidung natürlich wichtig, festzustellen, welche Persönlichkeitsstörungen generell vorliegen. So müssen etwa Patienten mit bipolaren Störungen anders behandelt werden als 'rein' depressive.
+++ Die Wirkung verschiedener Drogen
Alkohol und Heroin wirken dämpfend und werden deshalb gerade von Menschen mit einer ängstlich-agitierten Depression zur 'Eigen-Therapie' von Angstschüben verwendet. Kokain und Amphetamine (Aufputschmittel, Speed, Pep) wirken dagegen stimulierend und dienen vielen Süchtigen zur kurzfristigen Überwindung von Kontaktängsten und vermindertem Selbstwertgefühl. Unter ihrem Einfluss kann es zu schizophrenem Verhalten kommen. Gerade bei Menschen mit mehreren Abhängigkeiten sind die jeweiligen Abhängigkeits-Symptome sowie auch die Depression besonders stark ausgeprägt, und es kommt nach dem Entzug häufiger zu Rückfällen.
Das liegt unter anderem daran, dass andere Drogen noch stärker als Alkohol auf den Chemikalienhaushalt im Hirn einwirken und damit bei ihrem Entzug zwangsläufig Depressionen auslösen. Amphetamine (Speed), Methylamphetamine (Chrystal), Opiate (Opium) bzw. Opioide (Heroin) und Halluzinogene (LSD) rufen durch ihre toxische Wirkung schon wenige Stunden nach dem Gebrauch Depressionen hervor. Wie auch beim Alkohol tritt nach dem Abklingen der stimulierenden Wirkung ein drogenspezifischer 'Kater' ein.
Opiate/Opioide (Opium, Heroin, bestimmte Medikamente) blenden die Zeit aus und lassen die Welt vergessen. Sie lindern zwar starke Ängste, wirken dabei aber auch dämpfend und depressionsverstärkend. Der Entzug von Opiaten ist besonders schmerzhaft und langwierig.
Partydrogen wie etwa Ecstasy rufen nach einem euphorischen Hoch einen bösen Kater hervor, der recht schmerzhaft sein kann. Selbst geringe Dosen schädigen das Gehirn, genauer gesagt, die Serotoninrezeptoren. Ecstasy verursacht einen starken Serotonin- und Dopaminstoß, der große Mengen dieser Substanzen freisetzt und damit ihre Speicherzellen zerstört. In der Folge wird eine weitere Serotoninbildung unterbunden; bei regelmäßiger Einnahme sinkt der Serotoninspiegel um bis zu 35 Prozent! Der Depression sind damit Tür und Tor geöffnet. Schon eine einzige Dosis Ecstasy kann bleibende psychiatrische Symptome hinterlassen. Die Schäden von häufigem Ecstasy-Konsum zeigen sich dabei manchmal erst nach Jahren, dann aber umso gravierender.
Kokain hemmt die Dopaminaufnahme, während Morphium Dopamin direkt freisetzt. Auch der Serotonin- und Noradrenalinhaushalt wird stark beeinträchtigt. Bei Kokain sind schlimme Abstürze vorprogrammiert (sie beginnen etwa 48 bis 72 Stunden nach dem 'Hoch'), so dass die Droge oftmals einfach deshalb wieder eingenommen wird, um den zu erwartenden 'Tiefs' zu entgehen. Soziales Funktionieren in einer Art Normalzustand ist dann nur noch 'auf Droge' möglich, so dass das Umfeld die Abhängigkeit häufig erst dann erkennt, wenn der Betroffene einmal freiwillig oder unfreiwillig abstinent ist. Die Kokainabhängigkeit erschöpft alle Neurotransmittervorräte, was langfristig zum totalen Zusammenbruch führt.
Der regelmäßige Konsum von Kokain und Amphetaminen schädigt die Dopaminsysteme des Gehirns in erheblichem Maße, so dass der Abhängige schon aus rein physiologischen Gründen ständig depressiv gestimmt ist.
+++ Die Therapie mehrfach Drogenabhängiger
Ein großes Problem in der Behandlung mehrfach Drogenabhängiger besteht darin, dass ihre Urteilsfähigkeit oftmals so stark eingeschränkt ist, dass eine regelmäßige Medikamenteneinnahme nicht oder nur temporär möglich ist. Unregelmäßigkeiten in der Einnahme von Antidepressiva rufen aber selbst schwerwiegende Entzugssymptome hervor, was das Krankheitsbild weiter verschlechtert. Durch den Chemikalien-Mix kommt es zu unkalkulierbaren Nebenwirkungen, Psychosen und schweren organischen Schäden; die Suizidgefahr steigt.
Beim Einsatz von Antidepressiva bei mehrfach Drogenabhängigen ist also äußerste Vorsicht angezeigt. Eine ständige Beobachtung im klinischen Umfeld ist hier besonders sinnvoll. Ältere Trizyklika können im Zusammenhang mit Kokain das Herz schädigen, so dass diese Antidepressiva bei Kokainmissbrauch kontraindiziert sind. Besteht der Verdacht auf Drogenmissbrauch, müssen Antidepressiva gewählt werden, die mit den bevorzugten Drogen des Konsumenten keine potentiell schädlichen Verbindungen eingehen, auch wenn der Patient Drogenabstinenz gelobt. Regelmäßige Bluttests und die Kontrolle der Leberfunktionen sind hier besonders notwendig.
Rico Graf am 28.12.2012Eintrag melden
Der Mordversuch an einer Rose
Die drei Brüder F., Drillinge, flanierten am frühen Morgen – die Scheibe äugte noch schwach und kraftlos – im kleinen, noch schlafenden Wäldchen umher und spürten den kühlen Atem des Windes in den Gesichtern. Sie waren trotz ihres gemeinsamen Blutes, ihrer Fleischverwandtschaft, doch im Geiste sehr geteilt. Ihre charakterliche Wesenhaftigkeit ließ sich in folgenden drei Nomen grob implizieren: der Botaniker, der Moralist und der Ästhetizist. Wir können gerade nicht wissen, wer der Älteste, wer der Mittlere und wer der Jüngste war.
Also spazierten die Gebrüder in wortkarger, doch geneigter, fast schwelgerischer Stimmung entlang des Haines. Und plötzlich: da! eine Blume – eine Rose am Wegesrand, ganz allein. Der Botaniker nahm mit einer funkelnden Neugierde in den Augen das kleine Rosenköpfchen in die Hand und betrachtete es: „Seht, eine Rosa! Sie hat rötlichbraune Stacheln, scharf, kegelförmig, spitz zulaufend, circa einen Zentimeter lang. Die laubgrünen Blätter sind gefiedert, ganzrandig gesägt. Kaum beachtenswerte Nebenblätter. Die Blüte sitzt einzeln und endständig auf dem Stiel. Hier: die Hochblätter, fünf Sepale, der Kelch aufgerichtet und drüsenbesetzt. Der Blütendurchmesser etwa fünf Zentimeter. Die Kronblätter sind rot. Vom Rande des Blütenbechers aufstrebend die Stamen mit ihren orangefarbenen Beuteln. Die Karpelle sind zahlreich, unverwachsen, vor allem ragen sie vom Hypanthium hoch. Die Griffel setzen seitlich an und sind frei. Die Narben sind kopfig. Der ganze Becher wirkt urnenförmig, oben zum Diskus ausgebildet. Mehr Wissen werde ich nur durch das Mikroskop herausbekommen. Ich schneide den Kopf ab.“
In diesem Augenblicke schubste der Moralist den Botaniker erzürnt zur Seite und rief: „Das tust du nicht! Es ist falsch!“
Der Botaniker machte einen irritierten Blick und fragte: „Was ist falsch? Es ist doch zum Wohle der Wissenschaft? Wie soll ich erkennen, wenn ich nicht habhaft werde?“
Der Moralist erwiderte: „Du bringst sie um! Bist du irre? Einsam steht das Blümelein, es ist nicht richtig ihr…welches Geschlecht hat sie?“
Der Botaniker: „Weiblich.“
„…ihr das Köpfchen abzuschlagen! Weißt du denn nicht, dass dieses weibliche Wesen hier ein Organismus ist? Lebt?“
„Sehr wohl weiß ich das.“
„So frage ich dich, würdest du auch mir den Kopf abschneiden, wenn dein Auge nicht mehr reicht? Mich unter deine Okularprothese schieben, wie es beliebt, nur um der, nein, deiner Wahrheit Willen?“
Der botanische Bruder wurde zornig: „Das ist ja! Du wagst es? Ich bin empört! Denkst du, dein Mund ist höher als mein Aug? Ich werd’ dir gleich!“
Er schubste seinen Bruder zurück. Jener schrie. Doch der dritte Bruder schnitt den beiden Streithähnen das Wort ab: „Ruhe! Ihr Hampelmänner! Dumme Strolche! Was streitet ihr?“
Die beiden anderen Brüder wendeten sich zu ihm, welcher just in diesem Moment auf die Knies niederfiel; dabei ging sein Oberkörper nach vorn, sodass er auch die Arme und Hände auf dem Boden abstützen musste, um nicht mit dem Kopf in die schmutzige Erde zu fallen. Die Bewegung wirkte beinahe rituell, zumindest aber theatralisch, obschon sich gleich zeigte, dass letzteres ganz und gar nicht der Fall war: „O liebste Rose! Du schönes Geschöpf! Sieh, wie ich mich vor dir verneige! Der Künstler sieht in dir die majestätische Vollkommenheit jedoch nicht… Sagte nicht Nietzsche in der Götzendämmerung: Dieses Verwandeln-müssen ins Vollkommene ist – Kunst? Was bedeutet aber majestätische Vollkommenheit zu deiner Vollkommenheit? Bloß menschliche! Kein Gedicht, kein Bild, keine Metapher kann die Schönheit deines lieblichen Antlitzes je beschreiben, je ermessen, je verstehen. Vermag die Poiesis es doch nie, dich in ganzer Reinheit auszudrücken, zu erschaffen. Ist alle imitatio doch nur künstlerisch-künstliche Schablone deiner natürlichen Schönheit, die weder Form noch Stoffe kennt! Und ist nicht schlimmer noch die Erfahrung der Schablone selbst wieder nur ein vorgestelltes, mit den Sinnen schabloniertes Abbild? Du bist eine immer schon vergangene Göttin! Dein Anblick macht mich zu deinem immer schon künftigen Untertan. Du bist im Raum, in dem ich nie sein werde. Du schönste! Deine purpurnseidenen Blätterlein, dein prachtvoller Blütenkelch, dein sinnlich-verzückender Duft und der Zauber deiner poetischen Grazie sind uneinnehmbar. Niemals erkennbar! Du beugst dich keiner Sittsamkeit, sondern bist natura simplicissima – unerreichbar für uns alle!“
Der Botaniker: „Das stimmt nicht! Ich werde schon zeigen, was zu beweisen ist, um auch ihr letztes Geheimnis, ihre so genannte Schönheit, zu erklären!“
Der moralische Bruder sprang sofort ein: „Aber Brüderchen, meinte nicht Schiller: Schönheit sei Freiheit in der Erscheinung? Lass sie in Ruhe! Und schrieb Kant nicht: Das Schöne ist das Symbol des Sittlich-Guten? Verhalte dich auch so! Bitte, so halte doch ein, liebes Bruderherz!“
„Ach, was! Philosophisches Kauderwelsch! Ich zeige dir, zu was nicht nur mein Auge fähig ist, sondern auch meine Hand!“
Nun zog er ein nicht ungroßes Messer hervor und prophezeite: „Ich werde diese Rose enthaupten!“
Der Moralist brüllte, doch dessen ungeachtet sprang der Botaniker vor, ergriff das zarte Hälschen der Pflanze, welche sich nicht im Mindesten zu wehren sich anschickte, und hob den anderen Arm mit der Klinge in der Hand, um ihn herabsausen zu lassen. Es pfiff das Metall durch die Luft und eine Rose schrie… Staub wirbelte auf, die Zeit verstrich langsamer, der Waldsaum war verstummt, Herzen donnerten. Der Moralist blinzelte, wischte sich die Augen und starrte zur Rose. Ein unglaubliches Entsetzen stieg in ihm auf. Blut tropfte zu Boden. Ein Kopf war geneigt. Hände ertasteten bebend den ausströmenden Lebenssaft. Die gefühllose Klinge ragte bis zum Schaft im Leib des Botanikers. Sein irrer Blick suchte das Antlitz seines Totschlägers, der ästhetizistische Bruder, welcher mit ruhiger Stimme flüsterte: „Siehst du, Brüderlein, das Schöne steht über deiner Wahrheit.“
Der Botaniker seinerseits stöhnte, dann brachen die Augen und er sackte zusammen. Der Moralist zitterte wie im Fieber, Zorn und Trauer verzerrten sein Gesicht und stockend füllte sich die Luft mit dem Klange seiner Litanei: „Du…bist…ein…Mörder! Du hast ihn getötet, nur um dieses Ding da zu schützen? Welch grausamer Wahnsinn muss in dir toben, wenn du zu solch tollem Teufelsakte fähig bist?“
„Ich verstehe dich nicht, mein moralischer Bruder. Müsstest du nicht meine Tat zu gute heißen? War es denn nicht ein engelshaftes Labsal, eine zutiefst göttliche Weise, ihn zu opfern, um sie zu behüten, ihre Schönheit zu wahren?“
„Es ist Unsitte, eine Seele zu töten, mehr noch! ist es doch die schlimmste aller schlimmen Sünden, du diabolische Kreatur! Sühne!“
„Um eine andere zu retten?“
„Was fragst du? Die göttliche Gerichtsbarkeit hätte ihn gerichtet! Er ist unser aller Zeuge und Richter!“
Der Ästhetizist lachte gehässig: „Ha! Sieh, du Narr. Wie deine irdische Ethik versagt, ziehst du Ihn zu Rate, der nicht ist. Doch nehm’ sie, die Schöne, zur Göttin! Genieße sie. Dann ist der Angriff durch rechte Hand pariert.“
„Du entscheidest nicht über Recht und Unrecht, Teuflischer! Soll das Fegefeuer der Hölle den infernalischen Wahn in dir verbrennen! Verführt bist du, verführt von diesem Ungeheuer da!“
Er deutete mit dem zittrigen Finger auf die stumme Rose. Der Ästhetizist aber brüllte: „Schweig, Bruder! Lass das Pathos! Lass die Klage! Glaub unsereinem: dieses Ganze / Ist für einen Gott gemacht! Das galt besonders für den Botanischen. Und für dich gilt es, nur noch eines zu sagen: das Schöne steht über allem!“
Und mit diesem, nennen wir es: den ästhetischen Imperativ, zuckte wieder eine gähnende Klinge auf und morgendliche Tautröpfen kullerten unter der goldäugigen Scheibe wie die Tränen einer Rose zu Grabe.
Evelyn Goßmann am 25.12.2012Eintrag melden
Verschmähte, kleine Tanne
Mit Riesenschritten ging es auf Weihnachten zu, heftiges Treiben in den Geschäften, die Straßen oft überfüllt, dann wieder wie leergefegt. Trauben von Menschen tummelten sich oft an den vielen Ständen auf dem Weihnachtsmarkt. Es war auch interessant dort zuzusehen wie ein Glasbläser z. B. feine, zarte Kugeln herstellte und weihnachtliche Motive hineinritzte, oder sie fein und zart bemalte. Einfach toll war das, denn so etwas sahen die Kinder auch nicht alle Tage. Viele standen oft mit großen Augen und vor Staunen offenem Mund davor.
Eisig kalt war es draußen, alles war dick zugeschneit, die Äste konnten die Schneelasten kaum mehr tragen, drohten unter dem Gewicht zu brechen.
Mama und Papa hatten so viel zu tun gehabt sodass bisher kein Weihnachtsbaum beschafft werden konnte, und Mäxchen hatte schon Sorge dass es dies mal keinen schön geschmückten Tannenbaum geben würde, festlichen Kerzenschein, festliche Lieder unter dem Baum. Das Geld war knapp und es war schon gut dass Mama und Papa Arbeit hatten, aber manchmal war der kleine Junge doch traurig dass so wenig Zeit blieb einfach beieinander zu sein, sich die Freude beim Weihnachtsfest auszumalen, gemeinsam zu singen, dabei die ruhigen Kerzen des Adventkranzes anzuschauen, Gedichte und
Geschichten zu lesen oder auch mal einen Bummel zu machen um all die schönen verlockenden Auslagen zu betrachten.
Aber es gab ja noch so viele Bäume da würde man schon noch einen finden. Es war versprochen worden dass er ihn mit aussuchen dürfte, und so geschah es bei aller Hektik dass der HL. Abend da war, er aber immer noch keinen Baum irgendwo im Haus entdecken konnte.
Bei all dem Rummel auf dem Weihnachtsmarkt gab es noch so viel zu sehen und so wurde es später und immer später und die Befürchtungen des kleinen Max wuchsen nun unendlich, und er wurde recht traurig. Papa versprach am nächsten Tag mit ihm danach zu schauen und hielt das Versprechen auch.
So viel man tags zuvor noch gesehen hatte so leer waren die bekannten Plätze heute. Schleppend wurde der Gang des kleinen Jungen in der bitteren Kälte und nichts konnte ihn aufmuntern oder so recht fröhlich stimmen.
Tja dann werden wir wohl doch nichts Rechtes mehr finden brummelte Vater in den Bart, und sie zogen weiter zum nächsten Platz. Selbst trotz der warmen gefütterten Handschuhe froren dem kleinen Burschen fast die Finger ab, oder war ihm nur so kalt weil er enttäuscht war? Er hatte sich so sehr auf den Lichterbaum gefreut, denn der zauberte immer eine ganz bestimmte Stimmung.
Ach gehen wir heim, dann trinken wir Kakao und zünden die Kerzen am Adventkranz an schlug Vater vor - dem offenbar auch recht
ungemütlich war, dass er seinen kleinen Sohn nun enttäuschen musste der nun lustlos, traurig und tief enttäuscht die Straße hinabschlenderte. Er wollte die Tränen nicht zeigen die ihm über das Gesicht kullerten, aber er war sehr traurig und enttäuscht, und auch etwas böse auf Papa.
"Sieh mal, da liegt eine kleine Tanne, die hat sicher jemand vergessen, " rief er plötzlich aus, wurde wieder ganz lebendig und fuchtelte aufgeregt mit den Händen durch die kalte aber glasklare Luft. Der näher kommende Vater besah das kleine verwachsene Bäumchen und meinte nur: "die ist ja auch so klein, krumm gewachsen und hässlich, dass sie niemand haben will wenn man auch noch teuer dafür bezahlen soll."
Max Gesichtchen aber erhellte sich und er bettelte: "Ach bitte, es ist aber ein Tännchen und sicher ebenso traurig wie ich, lass es uns doch mitnehmen hier liegt es so traurig und allein herum, das will doch keiner mehr. Der Baumverkäufer ist auch lange daheim, also ist das Bäumchen hier weggeworfen und zurückgelassen weil es niemand haben wollte, es kostet doch nun auch nichts mehr. Ist doch schon fast HL. Abend."
Papa willigte nach längerem Zögern ein, konnte er doch auch den traurigen Blick des Kleinen nicht gut länger ertragen, außerdem hatte er ein etwas schlechtes Gewissen. Gut nehmen wir ihn mit, mal sehen was man noch draus machen kann. So kam es dass am Abend das vorher so traurige Mäxchen ein schmuckes Tännlein in einem herrlichen Festtagskleid mit Lichtern geschmückt bewundern konnte wie immer.
Papa hatte sich große Mühe gegeben an den blanken Stellen Löcher in den kleinen Stamm zu bohren um dort die fehlenden Äste einzusetzen, sodass es am Ende ein ganz ansehnliches Bäumchen wurde. Das hatte er mit großem Geschick gemacht, wollte er doch auch dass sein kleiner Sohn glücklich war.
Als das Silberglöckchen ertönte und sich die Türe zum Weihnachtszimmer dann schließlich öffnete, strahlte die kleine Tanne mit Mäxchen um die Wette, denn niemals hatte es ein so wunderschönes Weihnachtsgewand getragen, war so schön geschmückt mit Kugeln, Kerzen, Sternlein und Engelshaar, so schön hatte man es sich nicht vorstellen können.
War es doch der größte Wunsch der winzigen verwachsenen Tanne gewesen auch einmal zu einem strahlend schönen Weihnachtstännlein zu werden, das die Augen der Kinder leuchten ließe, sie Weihnachtslieder singen hören würde, und unter ihm die Geschenke finden und sich darüber freuen könnten.
Max ahnte nicht dass er der kleinen. Tanne zum größten Wunsch verholfen hatte, und die kleine Tanne Mäxchen zu dem seinen. Jeder hatte die hässliche verwachsene Tanne verächtlich angeschaut und achtlos beiseite geworfen, sodass sie am Ende traurig und allein zurückblieb. ´Dich nimmt keiner mit heim`, hatten die großen, gerade und schlank gewachsenen Tannen immer gesagt wenn sie stolz fortgetragen wurden und die kleine arme Tanne war immer trauriger geworden. Sie würde wohl doch nie zum Weihnachtsbaum werden, die großen starken Bäume hatten wohl nur allein das Recht dazu. Und so lag es da frierend in der Kälte einsam und verlassen und stellte sich den Lichterzauber der anderen vor und wurde immer trauriger und wollte nur noch sterben, einschlafen und alles Böse was es gehört hatte vergessen.
Nun war es die stolzeste kleine Tanne die es je gegeben hatte, die krummen Äste sah man nicht, sie waren toll geschmückt, Papa und Mama hatten sich sehr bemüht, und nun wurde es geliebt und bewundert. Das war der schönste kleine Weihnachtsbaum den Mäxchen je gesehen hatte. Für alle wurde es ein recht glückliches Weihnachtsfest von dem sie noch später oft und gerne sprachen wenn sie an diesen HL. Abend zurückdachten der so unglücklich begonnen hatte.
So war das kleinste, schwächste und offenbar als hässlich angesehene Bäumchen zum allerschönsten geworden und es konnte gar nicht mehr aufhören zu strahlen vor lauter Glück.
Van der Vaart am 25.12.2012Eintrag melden
De Bescherung
Dat gifft wohl nichts Scheuneres, as Hilligavend-Namiddag in'ne Stuuv to sitten, scheun Tass Koffi vör di, to Proov all mol so'n lütte Zigarr to smöken un di wohl to föhlen.
So wär dat ok düssen Hilligavend, vun den ik berichten will. Ik wet dat noch nipp un nau, dat wär namid-dags so üm un bi Klock fief; ik seet in'ne Stuuv, smök mien Zigarr, drunk mien Koffi un laat mi dat goot gohn. Mien Fru Adele weer in de Köök togang, se meuk den Kantüffelsalat. Jo, dat is all Traditschion bi uns, Hilligavend gifft dat Kantüffelsalat un Knackwust. Adele maakt jümmer twee Sorten Salat, een för de Familie un een för mi persönlich. Nicht dat ik mi wat Beeteret dünk, nä so nicht. Nä, mien Salat mutt ohn Zibbeln sien - anners kann ik dat nich aff; is för mi sowat vun ekelig, op Zibbeln to bieten, kann ik mi rein vör schütteln. Un so krieg ik jümmer mien eegen Schöttel Kanntüffelsalat.
Hüüt Middag harrn wi blots 'n poor Schieven K'rinthenstuten mit Mettwust op. Dat is ok all Traditschion. An eersten Wiehnachtsdag gifft dat jo - so as jedeen Johr - de Wiehnachtsgoos. De maakt mien Adele besünners lecker, de ward mit Backplumm'n un Maronen füllt. Maronen, dat sünd Kastanien to'n eeten; liggt jo wat swaar in'n Magen, aver de smeckt wunnerbor, so'n beten nöötig. Över Eeten kunn ik jo stunnenlang vertellen, kann'k mi richtig rinkneen.
Aver ik wull jo ganz wat anneres vertellen. Wi geseggt, ik seet kommodig in'ne Stuuv, lat mi dat goot gohn un leet nochmol in Gedanken all'ns an mi vörbi trecken, ob ok all'ns op de Reeg weer, dormett de Höhe-punkt vun'n Hilligavend - de Bescherung - ok een Höhepunkt ward.
To Seekerheit güng ik ok nochmol mien Geschenkenlist dörch: De Handschen för den Öllsten, heff ik. De neemodsche Mütz för de Dochter, heff ik. De Playstääschen för den Enkel is dor. Un för de lütt' Enkelin heff ik sülven een Popp "Baby-Born" besorgt. Mien Adele sall dütt Johr mol nichts för de Köök hebben, sünners düttmol heff ik för ehr ganz wat besünneres, wat persönlikes: Een gülden Keet - weer bi Tchibo in't Angebot.
Jüss heur ik buten Kinder juchen. Jo, wahrrafftig, dor fohrt all 'n poor Göörn mit ehrn Sleern de Straat lang. Un so as sik dat Wiehnachten heurn deiht, rieselt liesen de Snee vun'n Heven dal - dat gifft witte Wiehnacht, wat wöllt wi mehr.
Aver ik bün all wedder vun mien Vertell'n afkamen, wo wär ik? Ach so, jo, de Geschenkenlist. Jo, sogar Opa heff ik dütt Johr nicht vergeeten; dormett de Ohl mi nicht wedder, so as verleden Johr, bi'n Wickel kriegen kann.
Dat mutt ik gau noch vertellen: Verleden Johr - weer wedder Wiehnachtstied un Tied för den Wunschzettel - un so fröög ik je ok mien Vadder, wat he sik wull wünschen düng. Dor fangt he an to resoneern: Nä, he hett jo all'ns un he bruukt jo ok nichts un wat sall dat ok, düsse gegensiedige Schenkeree, is all'ns nur un-nödiget Geldverschwenden, mutt man jo ni all'ns mitmoken. Jo, süh, un doran heff ik mi denn jo ok holn. Dat weer Bescherung un Opa kreeg nix. Jungedi dor harrn ji den Ohln mol heurn schullt: "Ji harrn jo ni op mi heurn musst, deiht sünst jo ok keen Oos", ranzt he mi an. "Oder hest du op mi heurt, as du de Peerkoppel verköfft hest?" "Aver Vadder", versöcht ik mi to retten, "wi harrn jo all lang keen Peer mehr." "Dat nich, aver ik wull dor noch 'n poor Schaapen op loopen laten. Un vun de suuer Wischen wull ik een Bolßplatz för de Göörn maken, aver mien Herr Söhn musst dat jo all`ns verköpen un verpachen, för so'n neemodschen Windmöhln." "Ok wenn ik seggt heff, ik bruuk nix, liekers harrn ji jo so'n lütt Stück för mi över hebben kunnt, so is dat jo gor keen Wiehnachten för mi." Un ik seeg dat de Ohl ganz rode Oogen kreegen harr. Dat is mi denn doch bannig to Harten schoten un denn heff ik so dohn, as ob de nee'e Piep gor nicht för mi vör-sehn weer, sünners för em un plinker mien Fru to; de nück ganz liesen un plinker torüch. Dor weer de Free-den wedder herstellt.
Dat passeehrt mi ni wedder, dütt Johr heff ik för em 'n scheunet Book, poor ordentliche Zigarrn un sien traditschionellen "Buddel Sluck". Mit anner Wöör, ik heff all'ns op de Reeg, Wiehnachten kann losgohn. - Un denn güng dat ok los; as miteens Adele ut de Köök ropen deiht: "Manni, wi wiet büst du eegentlich mit den Dannenboom?" - Dannenboom? Dannenboom? - Lat dat ni wohr sien. Ik heff doch, ik wull doch glieks hüüt Morgen, wat weer denn dor? Ik harr doch - ik heff doch - ik heff wahrafftig den Dannboom vergeeten!
Jungedi, dor harr ik aver all namiddags mien Bescherung - un dat nicht to knapp. De ganze Familie güng op mi dal; un to den Snee buten, geev dat bi uns noch een gewaltiget Dunnerwedder.
Neuß hebbt wi denn aver doch noch scheune Wiehnachten hatt. Ik kreeg vun Navers noch 'n poor Dannen-
twiegen, de hebbt wi in de groote Bodenvaas steken, poor Kugeln un Lametta an, poor Kerzen un fardig. Wi harrn jo nu nicht den gröttsten, aver den originellsten Wiehnachtsboom in de ganze Naverschop. Mien Familie hett mi denn ok vergeven; weer je ok dat "Freedensfest" un dat "Fest der Leev".
Blots annerdaags kreeg ik nochmol 'n gewaltigen Stüber. Dor vertellt mi mien Fru, wat uns teinjährige Enke-lin ganz bedrüppelt no ehr in'ne Köök kamen weer un ehr froogt harr: "Oma, hett Opa nu Alzheimer?" - Ik heff lang ni mehr so slucken muss, so'n dicken Klüten harr ik in'n Hals.
Un dor heff ik mi swoorn: Tokomen Johr'n ward de Dannenboom a'n eersten Advent kofft - un schullen denn viellicht Hilligavend de Dannennadeln oder so - wi hebbt jo noch jümmers de Navers un de groote Bodenvaas.
Steff am 22.12.2012Eintrag melden
In unserem Autorenclub wird soeben dein Brief besprochen. Ich möchte dir und deiner Familie für Weihnachten folgendes Gedicht hierlassen, dass ich 2009 geschrieben habe:
Der gefallende Engel
Ein kleiner Engel, verbannd aus seiner Welt,
verflucht und in die Leere verschlagen.
Sein kleines Gesicht, vom Mondlicht erhellt,
weiße Federn nun vom Wind getragen.
Verirrt in der weiten Welt, gebrochen sein Stolz,
das Urteil traf ihn wie ein Stoß ins eigene Grab.
Verletzt stürzte er nun vom Himmel herab,
seine Flügel gebrochen, geschient mit Ebenholz.
Beschützen sollte er das unschuldige Erdenkind,
was er versäumte, sich nun in Lügen verfangen.
Er wollte wie Menschen sein, sein wie sie sind,
ein Fehler, ein Lügennetz, den er damit begangen.
Keine Menschenseele, keine schützende Hand,
verängstigt sitzt er nun in der Dunkelheit.
Niemand der ihn erlöst aus seiner Einsamkeit,
seiner Flügel beraubt sitzt er alleine im Sand.
Nun sehnt der Engel sich nach einen Licht,
doch dunkle Wolken vertreiben die Sterne.
Von stummen Tränen benetzt das Gesicht,
schaut er in die unendlich dunkle Ferne.
Seine gebrochenen Flügen berührt er verzagt,
mit ihnen zerbrach seine kleine Engels Seele.
Ein unterdrückter Schrei entflieht seiner Kehle,
er sinkt auf die Knie, von Verzweiflung geplagt.
Nun wünscht er sich, wie würden ihm vergeben,
seine Gefährten, geflügelt wie er es einst war.
Das Unglück, dass durch seine Fehler geschah,
will er zurück in sein einst himmlisches Leben.
Kann er ertragen, dieses schmerzliche Schicksal,
das Urteil ihn verband zu seinem irdischen Sein.
Tief in seinen inneren spürt er brennen die Qual,
das ihm das Herz zerbricht, als sei es ein Stein.
Ihm wurde alles genommen, es war nicht fair,
doch Nachsicht von ihnen erwartet er nicht.
Nun sitzt er dort, voller Sehnsucht nach Licht,
so blickt der gefallene Engel hinaus aufs Meer.
Er sieht nicht, dass jemand anderes trifft ein,
der Himmel hat ihm einen Boten gebracht,
Ganz plötzlich sieht er den hellen Schein,
der nun plötzlich erleuchtet die ganze Nacht.
Der gefallende Engel vor Schrecken erbebt,
voller Schmerz und Hass in seinen Herz.
Ein Erzengel der nun die Stimme erhebt,
„Nun fühlst du den gerechten Schmerz.“
„Gabriel, auch Engel der Rache genannt,
du hast mein schlimmes Urteil gesprochen.
Du bestrafst mich und hast mich verbannt,
du hast die Flügel und mein Herz gebrochen."
„Glaubst du, dass ich mich nicht bemühte,
ein Urteil zu fällen, das Gerechtigkeit entspricht?“
Der weise Blick Gabriels liegt voller Güte,
auf seinen doch so schönen Gesicht.
„Ich verbannte dich zu irdischem Leben,
vertrieb dich aus unseren himmlischen Reich.
Mein Auftrag ist aber auch, Gnade zu geben,
deshalb ist dein Schicksal mir nicht gleich.“
Nun lacht verbittert der verlorene Engel auf.
„Was soll es bringen, mein Dasein auf Erden?
Da nehme ich lieber meinen Tod in Kauf,
sagst aus Bestrafung soll Gnade werden?“
Da lächelt Gabriel kurz und spricht:
„Ich habe dir deine Flügel genommen,
aber begrabe deine Hoffnung nicht.
Trotzdem bist du doch weit gekommen.“
Nun spricht der Engel mit gebrochenen Mut.
„Ich weiß, dass ich deinesgleichen unwürdig bin.
Bin weder für euch, noch für Gott bin ich gut,
was hat mein Leben dann noch für einen Sinn?“
„Ich weiß, mein Urteil war hart, aber durchdacht,
dennoch hast du all meinen himmlischen Segen.
Leider hast du hast den Himmel Verrat gebracht,
dennoch kannst du dein eigenes Glück bewegen.“
„Gabriel, du sagtest du willst mir Gnade gewähren,
nun sag mir bitte Gabriel, was ist dein Gebot?
Wie kann ich den Menschen Gutes bescheren,
und meine Seele befreien aus der schmerzlichen Not?“
„Als gefallender Engel auf Erden ist es deine Pflicht,
zu schützen alle Menschenwesen, die Fehler gemacht.
Sei ihnen ein Freund und schenk ihnen das Licht,
dass ihnen erhellt den Weg in der dunklen Nacht.“
Seine Schuld muss er nun hier verbringen im Orte,
muss zeigen seine Güte und sein Geschick.
Der gefallene Engel vernimmt Gabriels Worte,
neue Hoffnung zeigt sich in seinen verlorenen Blick.
„Nach Gottes Vergebung möchte ich streben,
bis meine Seele ist von Unrecht rein.
Engel der Gnade ich möchte alles geben,
die Menschen bewahren vor Unglück und Pein.“
„Trau dich mein Engel deinen Weg zu gehen,
glaube an dich, auch in der schwersten Zeit.
Solange deine Hoffnung bleibt bestehen,
erhellt ein wunderschönes Licht die Dunkelheit.“
Die Worte von Gabriel klingen schon fern,
als der Erzengel seine Schwingen erbebt.
Am Himmel funkelt in der Ferne ein Stern,
während Gabriel ganz leise davon schwebt.
Sein kleines Engelsgesicht, vom Mondlicht erhellt,
weiße Federn werden nun leicht vom Wind getragen.
Die Hoffnung stirbt nicht, wenn er vom Himmel fällt,
nun muss der kleine Engel seinen eigenen Weg wagen.
Y.H. am 22.12.2012Eintrag melden
Ein ganz besonderer Weihnachtsengel
Paul hatte sich gleich gefragt, ob er für die Aufgabe wirklich der Richtige sei. Aber bitte, wenn sie es nicht anders haben wollten… Oberengel Vincent war schließlich der Leiter des Projekts, das sich „Engel auf Erden zur Weihnacht“ nannte, und wenn der meinte, Paul solle als Weihnachtsengel hinunterfahren, so tat er es eben.
Im Allgemeinen wurden ja als Weihnachtsengel eher zarte, blondlockige Mädchen gesandt, deren bloßer Anblick schon ein Wohlgefallen war, und nicht dickbäuchige männliche Engel mit schütterem Haar. Obendrein war Paul schon zu Lebzeiten extrem unaufmerksam gewesen, was ihn schließlich auch das Leben gekostet hatte, als er sich im Labor irgendein kräftiges Gift statt des Süßstoffs in den Kaffee gekippt hatte.
Beim Durchqueren der dicken Wolkendecke und dem anschließenden Flug durch heftiges Schneegestöber war Paul nicht ganz wohl zu Mute, und er hätte Vincent allzu gern verflucht, wenn sich das für Engel nicht streng verboten hätte. Als Erdwesen war er nie schwindelfrei gewesen, und er war noch nicht lange genug Engel, um diese Eigenschaft gänzlich abgelegt zu haben. Die Sicht war schlecht, selbst für einen Engel. Mit einem kräftigen Plumps landete er schließlich auf der Spitze eines Kirchturms, aus dem ihm ohrenbetäubendes Glockengeläut den Kopf dröhnen ließ.
Ehe er noch Zeit fand, sich nach einem besseren Platz umzusehen, hatte sich vor der Kirche schon eine große Schar Gläubiger versammelt und starrte zu dem rundlichen Himmelsboten hinauf. Der Priester und die Mönche des angrenzenden Klosters kamen herbeigeeilt, und alsbald erscholl ein vielstimmiges Halleluja-Geschrei zu ihm herauf.
Nun dachte sich Paul, da es schließlich seine Aufgabe sei, die frohe Weihnachtsbotschaft zu verkünden und die Menschen zu erfreuen, sei dies der geeignete Ort und Augenblick. Er setzte zum Fluge an und segelte – zugegebenermaßen ziemlich plump - herunter, wo er würdigen Schrittes, von der erregten Menge gefolgt, die Kirche betrat. Der Organist hieb und trat enthusiastisch in die Orgel, vergriff sich auch vor Erregung kräftig in den Tönen, was der großartigen Erscheinung eines leibhaftigen Engels in der Kirche aber keinen Abbruch tat.
Vom Priester, Abt, Ministranten mit weit aufgerissenen Augen und weichen Knien gefolgt, ging Paul auf den Altar zu, wo er Flügel und Arme ausbreitete. Die Gläubigen fielen auf die Knie, auf seinen Segen hoffend.
Wie gesagt, Paul war ein noch nicht sehr erfahrener Engel. Noch nie hatte er einen Segen erteilt oder eine Predigt gesprochen. Im Erdenleben hatte zwar ab und zu die Kirche besucht, die Predigten allerdings meist verschlafen.
„Valus, primus, sancta cruzcius, selectus!“, rief er mit heiserer Stimme. Wenigstens ein wenig Latein hätte man ihnen im Himmel beibringen können. Selbst die Lateinkundigen unter den Kirchgängern waren viel zu hingerissen von dem Erlebnis, um auf die Worte zu achten. Dem Priester jedoch klappte der Mund auf, und er starrte den Himmelsboten ziemlich verdattert an. Paul aber kam in Fahrt.
„Liebe Menschen“, rief er aus, „mein himmlischer Projektleiter, der heilige Vincent, hat mich bestimmt, euch die weihnachtliche Botschaft zu überbringen.“
Spätestens beim „himmlischen Projektleiter“ fuhren bei einigen Ministranten und jugendlichen Anwesenden verstohlen die Hände vor die Münder.
Unbeirrt fuhr Paul fort: „Seht, geradewegs in eure Kirche bin ich gekommen, um euch zu zeigen, dass wir Engel immer unter euch sind. Heute bin ich für euch ausnahmsweise sichtbar, doch meist schleichen wir unsichtbar zwischen euch herum und passen auf, dass euch nichts geschieht. Nachdem ihr mich nun gesehen habt, erzählt allen, dass es wirklich Engel gibt. So, nun habe ich noch viel zu tun auf der Erde, denn ich will mich noch vielen Leuten zeigen.“
Sodann patschte er dem Priester die Hand auf den Kopf und sagte: „Wie dieser hier, gehet nun in Frieden heim zu Frau und Kind, esst und trinkt, lasst es euch wohl sein mit meinem Segen.“
Des Priesters Gesicht lief dunkelrot an, angesichts der Engelsworte, er solle zu Frau und Kind heimkehren. Während nun doch einige sich krampfhaft auf die Lippen bissen, deutete er die Worte so, dass der Engel ihm zeigen wollte, dass er wisse, wie der Priester gegen das Zölibat verstoßen und heimlich mit der Haushälterin ein Kind gezeugt hatte.
„Vergib, vergib, ich werde beichten und mein Amt niederlegen“, murmelte er kaum hörbar.
„Na fein“, meinte Engel Paul, schritt aus der Kirche und flog davon.
Den genauen Ablauf seines Erdenfluges hatte er in seiner üblichen Schusseligkeit längst vergessen. Allerdings stellte sein bloßes Erscheinen ohnehin jede Planung in den Schatten.
Die lang gesuchten Juwelendiebe Hannes und Stefan ließen vor dem Juweliergeschäft ihr Einbruchswerkzeug fallen und ergriffen schreiend die Flucht, als sie des Engels ansichtig wurden. Dem Engel, dem keine Tür verschlossen war, kam daraufhin die Idee, mit einigen schönen Stücken aus dem Schaufenster Menschen eine Freude zu machen. Als ihm auf der stillen Fußgängermeile ein verträumtes Liebespärchen begegnete, gab er ihnen unversehens seinen Segen und legte dem zitternden Mädchen eine hochkarätige Kette um den Hals. Bevor sich die zwei noch von dem Wunder erholt hatten, erschien Paul am Tisch der ahnungslosen Familie Köhler. Als der beleibte Engel seine leuchtenden Hände hob und das Weihnachtsmahl segnete, verschluckte sich Vater Köhler an einem Gänseknochen. Die Kinder verkrochen sich angstvoll unter dem Tisch, und der alte Kater schielte böse und sträubte fauchend das Fell. Für den mühsam nach Luft ringenden Vater musste der Notarzt geholt werden.
Engel Paul jedoch gedachte nun der Kranken und erschien im städtischen Krankenhaus, wo der Chirurg vor Schreck prompt den eigenen Zeigefinger statt des vereiterten Blinddarmfortsatzes des Patienten abschnitt. Auch trug es später nicht zum guten Ruf des Krankenhauses bei, dass die ohnmächtige Oberschwester im Bett eines sehr attraktiven Patienten gefunden wurde.
Eine Frau, in deren Küche er erschien, um der fleißigen Köchin als erster der Familie seinen Weihnachtssegen zu spenden, ließ prompt den heißen Topf auf den neuen Küchenboden fallen, wo er eine hässliche Brandstelle hinterließ. Der Frau sagte man zukünftig nach, sie sei eine heimliche Trinkerin, nachdem sie den Schaden mit dem Erscheinen eines Engels begründet hatte.
Der Bürgermeister fiel zähneklappernd auf die Knie und gestand all seine Sünden, angefangen von den Reisen auf Steuerkosten bis hin zu der Beteiligung an zahlreichen Bauspekulationen, als Paul an seinem Tisch die Flügel ausbreitete und „Frohe Weihnacht, üb immer Treu und Redlichkeit!“ deklarierte.
Der Armen gedenkend, führte Engel Paul schließlich ein Heer von Obdachlosen in ein Nobelrestaurant, und während die Kellner zitternd auf die Knie fielen und die Gäste teils erbebten, teils die Hände falteten, gab er den Frierenden, Hungernden und Durstenden seinen Segen, sich an allem, was Küche und Bar hergaben, gütlich zu tun. Das Chaos, welches er hinterließ, lässt sich kaum in Worte fassen.
Bevor er jedoch noch weitere gute Taten anrichten konnte, kam aus himmlischen Höhen eine starke Hand, packte ihn im Genick und zog ihn schnurstracks in die Ewigkeit zurück.
In der von Paul heimgesuchten Stadt jedoch blieb dieses Weihnachtsfest unvergessen.
Die Gläubigen, die sein Erscheinen in der Kirche erlebt hatten, gerieten später in heftigen Streit. Einige glaubten fest an die Erscheinung, andere hielten das Ganze für einen bösen Streich. Der Priester, der unter dem Eindruck des Engels seine Untugend bekannt hatte, wurde exkommuniziert.
Das Pärchen aus der Fußgängerzone wurde wegen Einbruchs und Diebstahls verhaftet. Die Behauptung des Mädchens, ihr sei ein Engel erschienen, der ihr die Kette umgelegt habe, trug zwar nicht zu ihrer Entlastung bei, aber zu mildernden Umständen infolge mangelnder Zurechnungsfähigkeit.
Dem Familienvater musste der verschluckte Knochen operativ entfernt werden, so dass er sogar das Neujahrsfest noch bei Suppendiät im Krankenhaus verbrachte.
Dem Chirurgen konnte man zwar den Finger wieder annähen, doch zur Weihnachtszeit rührte er nie wieder ein Skalpell an.
Die noble Gaststätte musste nach dem üppigen Gelage der Obdachlosen in der Heiligen Nacht gänzlich renoviert, das Mobiliar teilweise erneuert werden. Die Obdachlosen dagegen schwelgten noch lange in Erinnerungen an das großartige Festmahl jener Weihnacht, in der der Engel erschien.
Bei den Juwelendieben führte die Begegnung mit dem Engel zu einer unerwarteten Wandlung. Sie gründeten eine freikirchlische Gemeinschaft mit dem Namen „Brüder des Engels“ und führten von da an ein untadeliges, frommes Leben.
Vincent wurde der weihnachtlichen Projektleitung enthoben, und nachdem er Pauls Chaos auf der Erde mit „der verdammte Idiot gehört auf die letzte Wolke“ kommentiert hatte, wurde er auch wegen Fluchens für einige Zeit in die Hölle als Heizer strafversetzt.
Paul ließ man jedoch nie mehr auf die Erde. Er wurde zum Putzen der Schneewolken abkommandiert und jeweils zur Weihnachtszeit unter strengster Beobachtung gehalten.
Copyright by Yvonne Habenicht
Liebe Mamus.
Ich hoffe, du und deine Familie könnt nun, trotz dem Schrecklichen, etwas lächeln. Eure Leidenszeit soll bald zuende sein, das wünsche ich eurer Familie.
Frohe Weihnachten!
Yvonne
Bordi am 22.12.2012Eintrag melden
Hallo Mamus.
Ich möchte Ihnen aus meinem jahrelangen Erfahrungsschatz etwas über Borderliner erzählen, das Sie wahrscheinlich noch nicht wissen. Wie aus Ihrem Text unschwer erkennbar, ist ihr Sohn in einer Beziehung mit einer Borderlinerin.
Wenn das Gefühl der innigen Verbindung zu einem Menschen, die sogenannte Symbiose, verschwindet, gibt es bei einem Borderliner zwei Möglichkeiten wie damit umgegangen wird. Diese gleiten fließend ineinander über.
Zuerst geht der Betroffene in die Abwertung und baut sich Hassgefühle gegen den Partner auf. Die Person, die eben noch alles für einen bedeutete, wird nur noch als Negativ wahr genommen. Man nennt es auch gern das von „weiß“ auf „schwarz“ wechselnde. Hass und Wut sind die dazu gehörenden, negativen Emotionen.
Gleich danach gleitet man in das viel schlimmere, berüchtigte Gefühl der Leere ab. Man kann es so beschreiben das man sich selbst nicht mehr wirklich wahrnehmen kann. Man verliert jeden Bezug zu sich und zu seinem Körper. Egal was passiert man fühlt nichts mehr. Alles wo man zuvor Gefühle erleben konnte wird durch einen Zustand ersetzt der sich am besten mit „Es ist alles egal!“ erklärt werden kann. Nichts hat mehr eine Bedeutung. Egal ob gutes oder schlechtes passiert, es bewegt einen nicht mehr. Alles wo man früher mit Freude bei der Sache war, verliert jegliche Bedeutung. Eine wirkliche Interaktion mit anderen Menschen ist nicht mehr möglich. Man wird assozial.
Es ist schwer für gesunde Menschen sich vorzustellen wie sich diese Leere im Körper anfühlt, denn es ist für eine seelisch-geistig gesunde Person normal, das man immer Zugriff auf seine Emotion hat. Bei einer Borderline-Persönlichkeit ist diese Leere jedoch leider ein häufig anzutreffender Zustand. Offen gesagt, es ist die beständigste Phase im Leben eines Borderliners.
Da Menschen mit einer Borderline Persönlichkeitsstörung besonders impulsiv und sehr instabil in ihren Gefühlsreaktionen sind, kommt es oft zu überraschenden und meist abrupten Stimmungswechseln. Für Außenstehende sind die damit einhergehenden Verhaltensweisen oft nicht nachvollziehbar, da sie meistens in keiner Relation zur aktuellen Situation stehen. Leidtragender ist in den meisten Fällen der Partner des BL. Aus diesem Grund werden Menschen mit Borderline Syndrom oft als beziehungsunfähig beschrieben, fühlen sich oft selbst nicht in der Lage, längerfristige Beziehungen zu führen.
Die jeweilig aktuellen Nicht-Borderline betroffenen Liebespartner empfinden die Beziehung zwar als sehr schwierig, aber auch sehr intensiv und emotional. Gerade am Anfang einer Partnerschaft wird die intensive Emotionalität, das hohe Maß an Zuwendung und die Abenteuerlichkeit des BL als sehr positiv und nie langweilig empfunden. Da die Partnerschaft in dieser anfänglichen Phase mit sehr hohen, meist aber auch nur vom BLer vorgespielter Liebe verbunden ist, kann man in diesem Stadium also nicht von Beziehungs- oder Liebesunfähigkeit sprechen.
Im längeren Verlauf einer Partnerschaft spielen Leidenschaft und Hingabe nicht mehr die entscheidende Rolle und erste Schwierigkeiten treten auf. Fähigkeiten zur Kompromissbildung, Frustrationstoleranz und Alltagsstruktur werden vom Borderliner als langweilig empfunden und sind nicht ausreichend entwickelt. Es entstehen beim Betroffenen destruktive Impulse, die „heile Alltagswelt“ zerstören zu wollen. Dies kommt einer selbsterfüllenden Prophezeiung gleich, nach dem Motto „es ist mir noch nie gut gegangen und es wird mir auch nie gut gehen“. Dazu kommt noch die Angst vor Neuem und vor Veränderungen.
Borderliner können sich nicht auf eine Beziehung einlassen, weil sie Traumata erfahren haben. Sie versuchen, sich zu schützen, indem sie frühzeitig Abstand herstellen und sich sehr schnell wieder trennen, bevor es der Partner tut. Da diese Mechanismen im ausgeprägten Stadium für den Partner unüberwindbar sind, sind längerfristige Beziehungen unmöglich. Bleibt die Beziehung dennoch bestehen, geht das meistens nur, wenn einer der beiden Partner sich selbst aufgibt.
Diese Fragen sollte sich der Partner eines BL unbedingt stellen:
-Bin ich mir meiner selbst und meiner Grenzen bewusst und kann ich Grenzen aufzeigen?
-Kann ich bei mir bleiben und seins/ihrs bei ihm/ihr lassen oder verliere ich mich leicht im Helfen/Retten wollen, Schuldgefühlen, Verlustangst, Angst etwas falsch zu machen?
-Bin ich mir bewusst, dass Borderline eine unheilbare geistige und seelische Krankheit ist, die eine schwere Behinderung darstellt?
-Bin ich bereit bzw. in der Lage dazu zu akzeptieren, dass es Dinge gibt, die der BL krankheitsbedingt einfach nicht ändern kann und will, auch wenn ich es selbst nicht verstehen kann?
-Bin ich bereit, mich selbst vollkommen aufzugeben und mich dem BL letztlich zur Gänze unterzuordnen?
-Wie weit geht meine Bereitschaft, Lügen, Ausreden und Demütigungen jeder Art hinzunehmen?
-Bin ich fähig zu erkennen, dass ich im Endeffekt längerfristig nicht in der Lage bin, dem BL zu helfen?
-Was sind eigentlich grundsätzlich meine Erwartungen an eine Beziehung mit unheilbaren geistig-seelischen Behinderungen?